Thursday, January 8, 2009

Pascal Mercier - Nachtzug nach Lissabon

Ich habe heute morgen das Buch "Nachtzug nach Lissabon" beendet, von dem ich bis dahin lediglich gehört hatte, dass es tiefe Verehrung oder brüske Ablehnung durch seine Leser erfahre - je nachdem, mit wem ich darüber sprach. Nun kann ich mir ein eigenes Urteil bilden - und bin tatsächlich über die extrem positive Kritik des Buches in Spiegel und Zeit erstaunt. Natürlich ist es selten, dass ein Publikumserfolg auch bei Literaturkritikern erfolgreich ist.

Die Geschichte ist schnell umrissen: Raimund Gregorius, Lehrer für alte Sprachen an einem Berner Gymnasium, stößt zufällig auf die Aufzeichnungen eines portugiesischen Arztes aus den 70er Jahren. Er wirft sein extrem in festen Spuren verlaufendes Leben über den Haufen, lernt portugiesisch und besucht das Land, um dem Leben des Arztes zu folgen. Dabei lernt er seine beiden Schwestern, seine noch lebende Jugendliebe und weitere Lebensbegleiter kennen und dringt in die Geschichte der portugiesischen Diktatur bzw. eigentlich in die Geschichte einiger Protagonisten des Widerstands ein. Am Ende, vermutlich aus Krankheitsgründen, kehrt er nach Bern zurück und begibt sich in ein ärztliche Untersuchung.

In der Zeit lobte Otto Röhmer die Art und Weise, wie "Mercier seine eigenen Einsichten [Prado, dem Arzt] so kunstvoll einflüstert, dass sie sich umstandslos an den Leser weitergeben", und zwar indem der Leser die von Gregorius übersetzten Texte über den Text verteilt liest.

Claudia Vogt hob im Spiegel hervor, wie es Mercier gelingt, "in durchsichtigen, prägnanten Sätzen eine spannende Geschichte mit existenziellen Fragen nach Einsamkeit und Tod zu verknüpfen".

Burkhard Müller war offensichtlich (laut perlentaucher) kritischer, der Artikel ist aber leider nicht online.

Nun, ich verstehe die Begeisterung nicht. Es gibt natürlich einige interessante Aspekte an dem Roman, keine Frage, aber was ist es, das stört? Dass der Autor sich je hälftig in den Arzt und in den Lateinlehrer hineingeschrieben hat? Einerseits scheint es den Wunsch zu geben, bei den eigenen Studenten derart beliebt zu sein, dass sie ihn vermissen würden, verließe er ohne erkennbaren Grund den Unterrichtsraum. Andererseits hat er auch so viel zu sagen, was bei den wenigsten ankommen wird, denn wer liest heutzutage schon noch Philosophie? Da ist ein Band von Betrachtungen, gewissermaßen eingebettet in das lesbarere Format eines Romans, doch viel einfacher. Nur sind die Überlegungen Prados sooo revolutionär ja nicht. Was heißt: die Faszination des Lehrers für den toten Arzt bleibt bis zu einem gewissen Punkt immer behauptet.

Oder stört, dass der Autor den Leser für zu dämlich hält und deswegen gebetsmühlenartig die Struktur des Romans beschwört?

"Wenn ihm jemand vor einer Woche, als er, Lateinhefte korrigierend, in seiner Berner Wohnung gesessen hatte, prophezeit hätte, er würde sieben Tage später in einem neuen Anzug und mit einer neuen Brille in Lissabon auf einem Boot sitzen, um über bei einem gefolterten Opfer des Salazar-Regimes etwas über einen portugiesischen Arzt und Poeten zu erfahren, der seit mehr als dreißig Jahren tot war: er hätte ih für verrückt gehalten." - S.137f.

"Wie war es überhaupt dazu gekommen, daß er in Lissabon in einem unerträglich niedrigen Raum in erstickendem Qualm saß und gegen einen abstoßenden Mann spielte, der ihn nicht das geringste anging und mit dem er kein Wort wechseln konnte?" - S. 250

"Ob sie mit ihrem Leben zufrieden seien, fragte er. Mundus, ein Berner Altphilologe, der galizische Fischer am Ende der Welt nach der Einstellung zu ihrem Leben fragte." - S.443.

Oder dass er Dinge expliziert, die man auch zeigen kann?

"Er genoß es, die verrückte Fahrt gemacht zu haben und jetzt hier zu sein [...]" - S. 443.

oder einfach diese hin und wieder auftretenden Elemente irgendwie erbaulicher Literatur; ich weiß nicht, wie oft ich den rotglänzenden oder rotgoldenen Assam verflucht habe. Warum haben nicht nur die Hauptfigur und sein bester Freund, ein Augenarzt, sondern auch noch der portugiesische Arzt Schlafstörungen? Warum muss Gregorius anfangen zu rauchen? Und warum diese unzähligen Zaunpfahlwinke, dass sich seine Sicht auf die Dinge verändert, dieses Hinstoßen des Lesers auf die feine Metapher der Brille und der Sehproblematik, ja des Schwindels am Ende, der ihn immer heftiger erfasst? Das geht doch eleganter!

Interessant erscheint mir vor allem der Rückflug nach Hause in die Schweiz nach zwei Wochen, ein Moment, wo man die Hauptfigur mal nicht so richtig versteht und wo der Autor nicht versucht hat, dem mit seitenlangen Abhandlungen abzuhelfen, sondern uns einfach mal ein bisschen tappen lässt. Dies wird nach nur allzu kurzer Zeit dann auch aufgehoben. Und bestimmte Detailbeobachtung wie jene der typischen Nachbarin, die aufpasst, was im Hause passiert und am Fußabtreter erkennt, ob er wieder da ist; oder die violett leuchtenden Vene der Hand Adrianas.

Aber vielleicht erschließt sich der "wahre Wert" der Betrachtungen eher den Menschen, die selbst bereits ihr Leben als in festen Bahnen verlaufend erkennen und davon erschreckt sind, sich aber selbst nicht trauen würden, etwas derartiges zu unternehmen, also Leuten über 40.

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