Saturday, January 10, 2009

Die Zukunft der New York Times

Ich gebe zu, ich habe gestern als Nachricht bezeichnet, was ein langer und komplexer Artikel ist, den ich aber erst heute komplett gelesen habe. Michael Hirschorn nimmt lediglich die rein hypothetische Möglichkeit, dass die New York Times im Mai 2009 pleite gehen könnte - er selbst nennt direkt im Anschluss verschiedene Gegenmaßnahmen -, als Anlass für eine Betrachtung des Nebeneinander von Print- und Onlinejournalismus.

Er schreibt:

"But the business strategy of The New York Times, as practiced since Abe Rosenthal’s editorship in the early ’70s, when New York magazine first threatened the daily’s stranglehold on the city’s lumpen upper-middle class—and as imitated by countless papers around the country—has undermined the perceived value of serious newspaper journalism as well. Under the guise of “service,” The Times has been on a steady march toward temporarily profitable lifestyle fluff. [...] The fluff is more fun to read than the loss-leading reports about starvation in Sudan, but it isn’t the sort of thing you miss when it’s gone. Not many people would get misty-eyed over the closure of, say, “Thursday Styles,” fascinating as its weekly shopping deconstructions often are."

Und er fragt sich, wie die Zukunft dieser Zeitung dann aussieht, wenn sie ausschließlich im Netz erscheint:

"In an optimistic scenario, the remaining reporters—now reporters-cum-bloggers, in many cases—could use their considerable savvy to mix their own reporting with that of others, giving us a more integrative, real-time view of the world unencumbered by the inefficiencies of the traditional journalistic form. Times readers might actually end up getting more exposure than they currently do to reporting resources scattered around the globe, and to areas and issues that are difficult to cover in a general-interest publication."

Nur leider erwähnt Hirschorn das pessimistische Szenario nicht. Für Menschen, deren Beruf es ist, sich mit Medien und Nachrichten auszukennen, ist es sicherlich möglich, sich durch den Wust an Informationen zu graben, um die guten und vertrauenswürdigen Quellen zu solch unvorhergesehenen Ereignissen wie der Situation in New Orleans nach dem Hurrikan oder den Anschlägen in Mumbai zu finden. Für den "normalen" Leser ist dies aber nicht möglich. Er vertraut auf die Kompetenz seiner Zeitung(en). Denn die "inefficiencies of the traditional journalistic form" sind ja nicht nur Platzmangel im Blatt, sondern auch, unter Umständen mehrere, Redaktionen eines Artikels - und damit ein Zuwachs an Objektivität im journalistischen Sinne. Was meines Erachtens mittlerweile ganz gut funktioniert, aber sicherlich verbessert werden kann, ist der Einbezug dieser Quellen in die Printberichterstattung, um vor allem eine gehörige Portion Authentizität zur eigenen Meinung hinzuzufügen.

Nun schreibt Rick Edmonds, dass Hirschorn basales Hintergrundwissen fehle, um Finanzjournalist zu werden und stellt einige der Vorannahmen richtig. Die wichtigste Korrektur:

"The New York Times leads all newspapers by a wide margin in the average time a typical unique visitor spends online. But that is 36 minutes per month (according to Nielsen's measure for November) -- just a little more than a typical Times print reader would spend with it per day. So where does most New York Times reading take place? By a wide margin, in homely old print (where, not coincidentally, ad revenue remains similarly concentrated)."

Edmonds schließt mit dem pessimistischen Szenario, das Hirschorn wegließ:

"How about getting your political news from Politico, your sports news from ESPN.com, your showbiz news from EW.com, your international news from an assortment of options, and your local news from somewhere to be determined? In short, the news would come from professionally reported and edited sites with standards -- just not the single unifying standard of The New York Times or other quality publications."

Man kann also vermuten, dass die Marke The New York Times das tut, was Marken so tun: Komplexität so zu reduzieren, dass man nicht bei jeder Nachricht eigenhändig überprüfen muss, ob sie stimmt, sondern einfach davon ausgehen kann, dass das in der Redaktion selbst geschehen ist. Dass durch die Ausweitung des Themenspektrums und den Versuch, das Blatt einer größeren Menge an Lesern schmackhaft zu machen, die Wahrnehmung guten Journalismus verzerrt worden sei, leuchtet mir nicht wirklich ein. Es wurde vermutlich einfach der Leserkreis weiter ausgedehnt, um mehr Profit machen zu können. Dass ein Leser, der sich durch diese Rubriken hat akquirieren lassen, seine Informationen heute vielleicht eher im Netz findet als jemand, der nach Reportagen über die Dürre im Tschad und deren Konsequenzen sucht; dass also vielleicht der Leserkreis etwas schrumpft, muss ja nicht automatisch das "Ende des Geschäftsmodells" sein.

Denn was eine große Zeitung ja gerade interessant macht, ist ihr Anspruch des "general interest". Spezialzeitschriften für Osteuropa oder Literaturkritik gibt es (und, wie man sieht, normalerweise auch mit Online-Angebot), und auch ein Publikum. Aber es gibt eben auch eine beträchtliche Anzahl an Menschen, die eine breite Vorauswahl, die für sie getroffen wird, bevorzugen; und zwar vor allem, wenn sie für sich vorher ausgewählt haben, wer diese Auswahl für sie treffen soll, mit der Entscheidung also, welche Zeitung(en) sie lesen. Deswegen ist es durchaus etwas anderes, ein physisch begrenztes Produkt einer Redaktion oder ein Netz an untereinander verlinkten, spezialisierten Blogs zu konsumieren.

Vertrauen wir also vorerst darauf, dass die NY Times nicht gleich im Frühjahr abschmiert.

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