Wednesday, January 21, 2009

Barney Frank

In zwei großen amerikanischen Zeitschriften gab es kürzlich Portraits über Barney Frank, den derzeitigen Vorsitzenden des Finanzausschusses im amerikanischen Kongress. In dieser Funktion war er der Beauftragte der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, für die Verhandlungen über die Lösung der Bankenkrise und allem, was damit zusammenhing, mit der Administration des (Ex-)Präsidenten Bush. Dies war wohl auch der Anlass für die Reportagen.

Im New Yorker schreibt Jeffrey Toobin:

"For the first time in more than forty years of public life, Frank has real power [...]."

Dieser Bericht macht wirklich Spaß zu lesen und belebt einen grundlegenden Glauben in die Demokratie - der Mann scheint kompetent, sozial verantwortlich, aber überzeugter Kapitalist zu sein. Pelosi selbst wird zitiert mit den Worten:

"'He’s solution-oriented, respectful of different perspectives, and brilliant. And it’s brilliance that saves time, because he simplifies the complex for us. He is an enormously valuable intellectual resource for the Congress.'"

Er war der erste Kongressabgeordnete, der sich (1987) aus freien Stücken als homosexuell bekannte. Der Bericht im New Yorker erzählt dann eigentlich die Immobilienkrise der vergangenen anderthalb Jahre aus der Sicht bzw. durch die Brille von Barney Frank und abwechselnd dazu seinen Aufstieg im amerikanischen Politikbetrieb. In Anbetracht der Tatsache, dass Frank den Vorsitz des Finanzausschusses im Februar 2007, also vor dem eigentlichen Zusammenbruch des Immobilienmarktes übernahm, war auch Thema eines Interviews mit dem rechtskonservativen Bill O'Reilly:

Im New Yorker heißt es dazu:

"'I will acknowledge that during the twelve years of Republican rule I was unable to stop them from impeaching Bill Clinton,' Frank went on. 'I was unable to stop them from interfering in Terri Schiavo’s husband’s affairs. I was unable to stop their irresponsible tax cuts, the war in Iraq, and a Patriot Act that did not include civil liberties.' In other words, Frank insisted, if the Republicans had wanted to try to prevent the mortgage crisis, they would have had plenty of opportunities to do so."

Dass es für den Mann dennoch nicht ganz einfach gewesen sein dürfte in all den Jahren, belegt ebenfalls ein direktes Zitat aus dem Text:

"'Barney is a real capitalist,' Joe Corcoran, the developer who took over Columbia Point [a public-housing project], told me. 'He understands that we have to make a profit. Barney is the smartest politician I’ve ever seen. I have no problem with him being gay, or being Jewish. I like Jews. I like doing business with Jews. They know how to make a deal.'"

Some of my best friends are, oder Philosemitismus, oder was ist das? Der Artikel lässt das unkommentiert stehen. Angesprochen wird auch, dass Newt Gingrich, ehemaliger Sprecher des Repräsentantenhauses, der Überzeugung war, Barney Frank hasse ihn. Was man verstehen kann, wenn man sowas hört:

"Still, Frank is uncharacteristically hopeful about the future, including gay rights. 'We’re going to do three things in Congress,' he told me. 'First, a hate-crimes bill—that shouldn’t be too hard. Next, employment discrimination. We almost got that through before, but now we can win even if we add transgender protections, which we are going to do. And finally, after the troops get home from Iraq, gays in the military. The time has come.'"

Ein sehr interessantes Stück kann man dann lesen, wenn es um die Abstimmung des 700-Milliarden-Dollar-Paketes im amerikanischen Kongress sowie die vor- und nachherigen Verhandlungen zwischen Demokraten und Republikanern geht:

"Frank laid out the provisions that the Democrats wanted in a bailout bill: equity for the taxpayers, like any other investors; a program to limit foreclosures for beleaguered homeowners; compensation reform for executives at companies receiving bailout funds; and strict congressional oversight of the whole process. Two days later, on Saturday, September 20th, the Treasury Department sent Congress a formal proposal of sorts. In a text just three pages long, the Treasury asked for seven hundred billion dollars from Congress but provided few details about how the Administration would spend the money. 'It was just ridiculous,' Pelosi told me. 'They wanted us to surrender all authority and give them seven hundred billion dollars.'"

Der Artikel im Portfolio-Magazine von Andrew Rice legt im Gegensatz (er ist vor allem ein ganzes Stück kürzer) zum New Yorker zu Beginn eher Gewicht auf die Einordnung der Bedeutung des Financial Committees:

"Congress, led by Frank’s committee, is now in the process of deciding the future regulatory structure of Wall Street, the pay of investment-banking executives, the fate of Detroit’s Big Three automakers, and how many homeowners will face foreclosure."

Gleichzeitig kommen die im New Yorker nur angerissenen Ängste der Wall Street etwas mehr zur Geltung:

"Friedman [ehemaliger Vorsitzender von Goldman Sachs], like other Wall Street elders, has suggested postponing changes until both markets and emotions have stabilized and appointing a 'blue ribbon' panel (classic Washington-speak for punting on a tough issue) to study possible strategies. Frank says such an idea is 'nonsense.' He has no sympathy for the hedge fund managers and other financial wizards who invented what he calls 'magical money machines.'"

Man erfährt auch, wie sehr Politik letztendlich (immer wieder) abhängig davon ist, dass in manchen Situationen zwei Menschen gut zusammen arbeiten können, weil ihnen gelingen kann, was ohne gute Zusammenarbeit eventuell nicht gelungen wäre. Hier geht es um die Kooperation zwischen Barney Frank und dem amerikanischen Finanzminister Henry Paulson:

"The two men consulted on a daily basis during critical periods of the crisis, sometimes face-to-face, more often in impromptu phone calls. They communicate very differently: Paulson sometimes descends into halting jargon, while Frank can cram three sentence fragments into one breath. But a trusting relationship was formed. When Paulson said he needed $700 billion, it was Frank who expended the mighty effort to persuade resistant House Democrats. [...] 'When I talk to him about the markets, I know he immediately gets it,' Paulson told me at the height of the crisis. 'And he has been consistently right in the advice he has given me about politics.'"

Tuesday, January 20, 2009

Wissenschaftliche Kaffeesatzleserei

In einem Kommentar zu einer Publikation kürzlich im Titel-Magazin schrieb Thomas Rothschild: 

"Zeitungen und Zeitschriften müssen gefüllt werden. Deshalb geben sie ständig Antworten auf Fragen, die sie sich selbst stellen. Aber die Antworten gehen über das Niveau der Kaffeesatzdeutung nicht hinaus. Tag für Tag wird als Gewissheit ausgegeben, was lediglich Vermutung, Behauptung ist. Mit Wissenschaft hat das so viel zu tun wie das Bremsgeräusch eines LKW mit Musik."

Auch ohne den Hintergrund des Artikels, die Neoliberalisierung von Altlinken, dabei zu benötigen, spricht dies ein aktuelles Problem an: Bei der Gratwanderung zwischen Arkanwissen aus dem Elfenbeinturm und Populärwissenschaft werden wissenschaftliche Erkenntnisse teils derart vulgarisiert, dass man für deren Vermittlung dann auch keine Professoren (oder -innen) mehr braucht.

Ein schönes Beispiel lieferte dafür kürzlich Professor Norbert Bolz in einem Interview in der Berliner Zeitung (hier stellte er sich die Fragen also nicht selbst). Anlässlich der Diskussion um 25 Jahre Privatfernsehen äußert er gleich zu Beginn, als hätte es weder eine konstruktivistische Medientheorie noch eine Cultural Studies Fernsehforschung je gegeben:

"Der Vorteil für den Zuschauer ist die Prämie der Passivität. Er wird nebenher berieselt, Walter Benjamin hätte das 'zerstreute Rezeption' genannt. Man bekommt als Konsument beiläufig alles mit: Was in New York los ist, wie es zwischen Männern und Frauen läuft, wie Obamas Frau aussieht. Durchs Fernsehen lernt man die Welt kennen. Der Nachteil: Fernsehen ist ein Oberflächenmedium, ohne jegliche Tiefe."

Als Walter Benjamin noch lebte, gab es schlicht noch kein Fernsehen, und es ist unglaubwürdig, dass sich nach Benjamin niemand mehr mit einem bedeutenden Beitrag zur Rezeption des Fernsehens gemeldet hätte. Als nächstes folgen dann, natürlich, Adorno und Postman:

"Der Kulturauftrag des Fernsehens ist nichts weiter als ein Phantasma."

Das kann man denken, man kann auch anderer Meinung sein, auch wenn in diesem Fall jegliches Gegenargument sofort als weltfremd abgetan werden kann. Aber was folgt, ist dann schon recht unglaublich.

"Sie [die privaten Fernsehkanäle] haben in gesundem Realismus das Wichtigste klargestellt: Es zählt nur die Quote. Hätten die öffentlich-rechtlichen Sender den Mut eines Don Quichotte besessen, und die Quote missachtet, wäre vielleicht alles anders gekommen. Sie könnten es, denn das Geld ist ja bei ihnen. Aber sie fingen sofort auch an, nach der Quote zu schielen, da ist es zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen zur Ununterscheidbarkeit gekommen. Von heute aus gesehen war das richtig, denn das Fernsehen ist nicht mehr das Leitmedium."

Abgesehen davon, dass es Menschen und nicht die Kanäle waren, die irgendwas klargestellt haben, scheint sich die Argumentation wie folgt aufzubauen: Wären die öffentlich-rechtlichen Kanäle vollkommen weltfremd gewesen und hätten sie gegen Windmühlen gekämpft, gegen also eigentlich real nicht existente Phantasmen, dann, ja dann wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Die Ununterscheidbarkeit zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten ist eher behauptet (bei den Sparten- bzw. Regionalkanälen liegt die Unterscheidbarkeit auf der Hand, vgl. Phoenix oder 3sat, aber auch bei den Generalisten ist doch immer noch ein Unterschied zu bemerken), wenn man eine gewisse Annäherung auch nicht einfach vom Tisch wischen kann. Zumal Bolz selbst nur einige Absätze weiter unten sagt:

"Die Öffentlich-Rechtlichen stecken in viel engeren Geschmacksgrenzen fest."

Am überraschendsten erscheint mir aber die Volte, die Bolz am Ende schlägt: Die Konvergenz des Maßstabs Quote für sowohl öffentliche als auch private Anstalten war richtig, weil das Fernsehen heute nicht mehr das Leitmedium ist? Ist es richtig, weil infolgedessen das Fernsehen seinen Status als Leitmedium verloren hat? Oder ist es richtig, weil Quote auch bei allen zukünftigen medialen Kanälen der Maßstab sein wird, auch jetzt, wo das Fernsehen nicht mehr das Leitmedium ist? Und was hat das eine mit dem anderen zu tun? You lost me there.

Danach widerspricht sich Bolz scheinbar sogar, wenn er auf die Frage 

"Hat das Privatfernsehen die Öffentlich-Rechtlichen gezwungen, ihr Profil zu schärfen?"

behauptet:

"Auf jeden Fall. Der 'Tatort' ist politisch korrekter geworden, 'Anne Will' ist schärfer als 'Christiansen' es war."

Damit hätte die Konkurrenz ja, zumindest in einigen Fällen, sogar zu einer größeren Unterscheidbarkeit geführt, denn an political correctness ein privates Programm zu messen, scheint mir in den meisten Fällen vertane Zeit.

Im Anschluss bezeichnet Bolz die Privaten auch als Trendaufspürer und Trendsetter:

"Hauptsächlich RTL hat richtige Spürnasen, die jeden Trend im Ansatz erfassen, prüfen und dann mit unternehmerischem Mut, manchmal auch Wagemut, koppeln und ins Programm nehmen."

Die Zeit schrieb über Bolz mal "Trendforscher kennen Herrn Bolz als Philosophen; Philosophen kennen ihn als Trendforscher", deswegen sollte man davon ausgehen, dass daran irgend etwas bedenkenswert ist. Stefan Niggemeier schrieb zur Verleihung des Preises "Medienfrau des Jahres 2008" an Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin von RTL:

"Man kann den von ihr geleiteten Sender RTL zum Beispiel dafür bewundern, wie er es geschafft hat, angesichts einer sich ganz von allein zerbröselnden Konkurrenz, einfach stillzuhalten und auf eigene Ideen, Impulse und Risiken zu verzichten. [...] Und bestimmt findet man in einem Jahr, in dem die Quoten für RTL fast durchweg schlechter waren als im Vorjahr, auch eine Ausnahme, die man hervorheben kann."

Ich habe seit Jahren kein RTL geschaut, aber das klingt nicht nach Wagemut. Aber der brave Roland Mischke fragt nach:

"Meinen Sie Sendeformate wie 'Big Brother' und die 'Dschungelshow'?"

Darauf Bolz:

"Zum Beispiel. Unglaublich, dass das funktioniert hat. Echtes Leben, echte Gefühle, wahre Intimität."

Unglaublich oder nicht. Aber "echt"? Damit möchte ich nicht auf das Authentizitätsproblem hinaus, sondern lediglich die begriffliche Unschärfe von Bolz kritisieren. Das ist zwar sehr leicht lesbar, setzt sich aber der Gefahr der vollkommenen Unseriösität aus.

Ich bezweifle, dass durch eine solche Vermittlung irgendeiner der Leser eine zusätzliche Information erhalten hat. Und wenn das nach Jahrzehnten der Rezeptionsforschung in der Öffentlichkeit kommuniziert wird, dann verliert das Fach einfach seine Existenzberechtigung.

Saturday, January 17, 2009

Porträt des russischen Verlegers Boris Giller

Sonja Zekri hat in der Süddeutschen Zeitung ein sehr schönes Portrait über den russischen Verleger Boris Giller, der vor allem regionale Zeitungen vertreibt, geschrieben:

"'Die Menschen kaufen meine Zeitungen, also kriege ich Anzeigen', sagt er: 'Anzeigen bringen Geld, also drucken wir, was die Menschen lesen wollen.' Nämlich? 'Die Wahrheit.' So simpel ist sein Businessplan."

Die derzeitige Situation der Presse in Russland wird folgendermaßen beschrieben:

"Auch Moskauer Wirtschaftsblätter wie der Kommersant oder Wedomosti, das Wochenblatt Nowaja Gaseta oder die Zeitschrift Nowoje Wremja lassen kein gutes Haar am Kreml. Russland ist nicht Nordkorea, zwar ist das Fernsehen staatstreu bis zur Lähmung, aber das Internet ist frei, und die Presse liegt irgendwo dazwischen. Doch die Strahlkraft der liberalen Hauptstadtpresse dringt selten über den Moskauer Autobahnring hinaus. Giller informiert die Provinz, aus Geschäftssinn und aus Liebe."

Und soll man sich bei der Prognose für die Zukunft freuen oder fürchten?

"Seine vorläufige Prognose für Russland, für die Krise, für die Pressefreiheit? Da hat er nachgedacht, gegrinst und schließlich gesagt: 'Es wird schlimmer. Und dann wieder besser.'"

via perlentaucher

Friday, January 16, 2009

Verkauf (fast) perfekt: Berliner Zeitung bei DuMont Schauberg

Anfang der Woche wurde es beschlossen und verkündet, jetzt müssen "nur" noch das Bundeskartellamt und die Gesellschafterversammlung des Mecom-Konzerns zustimmen: der Verkauf der Berliner Zeitung, des Berliner Kurier, der Hamburger Morgenpost, des Berliner Abendblattes, der Stadtzeitung tip sowie der Netzeitung an den Verlag DuMont Schauberg.

Der neue Besitzer hat seinen Schwerpunkt im Kölner Raum - zu ihm gehören der Kölner Stadt-Anzeiger, die Boulevardzeitung Express, die Kölner/Bonner Rundschau -, außerdem die Mitteldeutsche Zeitung. Ein Einspruch des Kartellamtes ist deswegen nicht wahrscheinlich. Der Verlag ist aber auch an der Frankfurter Rundschau beteiligt, die von dem ehemaligen Chefredakteur der Berliner Zeitung, Uwe Vorkötter, geleitet wird. Dies hat zu Spekulationen geführt, beide Redaktionen bekämem einen gemeinsamen Newsdesk.Dem wird unter anderem in der Frankfurter Rundschau widersprochen.

Nach etwa drei Jahren unter Mecoms Dach wird vom Betriebsrat (in der FAZ zitiert) bilanziert: „Keine Investitionen in Marken, Personal, Technik und Unternehmen, keine Print- und Onlinekonzepte. Stattdessen irrationale Umsatzvorgaben und ständiger Schuldenzuwachs, Rücklagen geplündert, Gewinne abgezogen.“

"Erleichterung" nennt es demzufolge auch Thomas Rogalla in einem Gespräch auf Deutschlandradio Kultur, was bei den Mitarbeitern herrsche. Warum sich, wie er äußert, allerdings Geld verdienen und eine Zeitung machen widersprechen sollen, weiß ich nicht. Die Berliner Zeitung macht ja immer noch Profit.

In der FAZ herrscht Verwunderung über die Expansion des Verlags: "Der 81 Jahre Familienpatriarch Alfred Neven DuMont setzt im bröckelnden deutschen Zeitungsmarkt stärker als alle seine Konkurrenten auf Wachstum. 'Fressen, um nicht gefressen zu werden', umschreibt ein anderer Großverleger die Strategie des Seniors, der in Köln noch immer das letzte Wort hat."

Die NZZ differenziert: "Nach seinem Abgang werden sich die besorgten Branchenbeobachter vermehrt mit der Tatsache konfrontieren müssen, dass die einheimischen «klassischen» Medienmanager nicht wirklich zimperlicher als der Mann von drüben vorgehen." Immerhin war in den vergangenen Tagen ja auch überall zu lesen, wie Gruner und Jahr die Redaktionen von FTD, Capital, Börse Online und Impulse zusammenlegt. Im Blog "Die Dschungel. Anderswelt" war kürzlich zu lesen, dass "[...] die FAZ momentan kaum mehr mehr als 50 ct/Zeile bezahlt, und zwar: bezahlen k a n n [...]".

In der Süddeutschen Zeitung ist jetzt ein Porträt von Neven DuMont erschienen: "Auch wenn, so Neven DuMont, die Wirtschaftskraft nicht mit München, Hamburg, Frankfurt oder Köln vergleichbar sei: 'Berlin ist aufregender als jede andere deutsche Stadt.' [...] Die Zeitung ist für Neven DuMont Kulturgut, sie wird nicht vorwiegend aus finanziellen Gründen gemacht. Natürlich muss die Kasse stimmen und auch M. DuMont Schauberg baut Personal ab. Daran, so Neven DuMont, komme derzeit kein Verlag vorbei. Doch die publizistische Qualität war ihm immer genauso wichtig wie der Profit."

Da ist er also, der "echte Verleger", wie ihn auch die Betriebsratsvorsitzende der BVZ Deutsche Mediengruppe, Renate Gensch, nennt. Diese Idee kritisiert Thomas Knüwer im Handelsblattblog: "Der Schriftsteller Arno Schmidt berichtete einst über seine Erfahrungen mit der Presselandschaft im Wirtschaftswunderland: 'Alle Verleger sind Schufte'. Und angeblich war es Kurt Tucholsky, der sagte: 'Die Verleger schlürfen aus den Hirnschalen ihrer Autoren Champagner.' Verbürgt ist wohl seine Äußerung, dass der deutsche Zeitungsverleger ein 'ängstlicher Mann' sei: 'er will Geld verdienen, was ihm kein Mensch übelnimmt, und er will nur Geld verdienen, was ihm sehr übel zu nehmen ist.'"

Er schließt: "Was Zeitungen heute brauchen, sind nicht mehr Verleger, sondern bessere Geschäfts-Führer. Dabei ist es unerheblich, ob diese nun über Eigentümerschaft gleichzeitig Verleger sind. Wichtiger ist, dass sie sowohl führen können, als auch Branchenwissen und Weitblick haben. [sic!] Dass sie integer sind und klar denken. Sprich, dass sie 'echte Manager' sind. Sie sollten wir uns herbeiwünschen, statt irgendwelchen Traumbildern hinterherzujammern."

Ich bin gespannt, wie sich die Berliner Zeitung, an der vor allem mein Herz hängt, im noch frischen Jahr entwickeln wird.

Thursday, January 15, 2009

Lloyd Grove: Sumner's Discontent

Im aktuellen Portfolio-Magazin befindet sich ein sehr lesenswertes Porträt (Autor: Lloyd Grave) des Präsidenten (für chairman gibt es die Übersetzungen Vorstandsvorsitzender und Aufsichtsratsvorsitzender) der beiden Medienkonzerne Viacom und CBS, Sumner Redstone, über den ehemalige Mitarbeiter sagen:

A former Viacom executive calls him “a scumbag,” while another claims he’s “the most egocentric human being you could ever run across.”

“There’s a group of people he says are his friends,” adds this former Viacom executive, “who would happily cut his heart out with a rusty knife.”

Etwas unheimlich, dass ein so alter und offenbar weitgehend beratungsresistenter Mann wie Redstone solche riesigen Konzerne führt.

(via perlentaucher)

Wednesday, January 14, 2009

Jean-Patrick Manchette: Morgue pleine

Ein Hard-boiled Krimi auf Französisch? Ja, das geht. In einer älteren Version von 1992 bei Lübbe hieß er "Sieben Stufen zum Himmel", der Distel-Verlag bringt die Werke wieder auf den Markt. Sie haben sogar eine Webseite für ihn gestaltet. Hier heißt er in der wörtlichen Übersetzung "Volles Leichenhaus".

Es geht um den abgehalfterten (wie auch sonst) ehemaligen Polizeikommissar Eugène Tarpon, der Privatdetektiv geworden ist, dessen Geschäfte aber derart schlecht laufen, dass er seine Wohnung (die auch sein Büro ist) auflösen will und seine Mutter anruft, er ziehe wieder zu ihr. In der letzten Nacht vor seiner Abfahrt aus Paris überschlagen sich dann die Ereignisse - erst will ihn ein Bekannter überreden, bei einer Firma namens Encadrement et Surveillance Industrielle, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass das personnel exclusivement francais ist, mitzuarbeiten (er schmeißt ihn raus). Dann besäuft sich Tarpon. Nachts klingelt ihn ein verschreckter Musiker raus, dessen Klub von Mafia-Typen bedroht wird. Bevor Tarpon auch ihn rausschmeißt, schlägt er ihn zusammen. Er betrinkt sich weiter. Dann wird er erneut geweckt, von einer Frau, die behauptet, ihre Mitbewohnerin sei ermordet worden. Er empfiehlt ihr, zur Polizei zu gehen.

Natürlich wird er auch sie los, sie lässt es sich aber nicht nehmen, vorher ihn zu vermöbeln. Als er aufwacht, entschließt er sich, dem Hinweis doch zu folgen. Die Mitbewohnerin der Frau ist tot, die Frau selbst, sie heißt Memphis Charles, ist verschwunden.

Damit beginnt dann ein ganz typischer Hard-Boiled-Krimi:

"Il a commencé à rire d'un rire qui promettait d'être long et qui n'as pas tenu ses promesses." (S. 61)

"Un Beretta, à ce qu'il m'a semblé, et du petit calibre, sans doute encore du 22. C'étaient de grands amoureux du 22, ces zèbres, c'est-à-dire qu'ils étaient trop sûrs d'eux ou qu'ils tiraient vraiment très bien. Je penchais pour la seconde hypothèse parce que je suis impressionable." (S. 85)

Im weiteren Verlauf wird Tarpon mehrfach entführt, bringt ein paar Leute um, und die schöne Frau ist am Ende gar nicht wirklich schuld. Dieser Stil ist äußerst unterhaltsam und, das Buch stammt von 1973, gut abgehangen. Neu ist er nicht. Und so stellt sich immer wieder mal der Gedanke ein, dass man vermutlich kein zweites Buch von diesem Autoren lesen wird, oder aber vielleicht sein letztes, weil man hofft, dass sein Stil sich verbessert hat über die Jahre (Manchette starb bereits 1995).

Wir lesen aber in einer Rede von Tobias Gohlis zum 10. Todestag Manchettes folgendes:

"Sieht man einmal von zwei Romanen ab, in denen er die Figur des Privatdetektivs zu einer ziemlich desaströsen und erfolglosen Aktivität erweckt, verzichtet er ganz auf diese heroischen Figuren, deren Trunksucht, Melancholie und Treue zum Auftraggeber von den auf wenige Individuen beschränkten Restbeständen einer untergegangenen Moralität künden. [...] Manchettes Gespür für Aktion, für Timing, für Atmosphäre und Szene ist unübertroffen. Sein karger Stil, der von jeder Sentimentalität entschlackt ist, entfaltet ein ungeheures Tempo. Seine Plots entbehren jeder, aus den Fernsehserien bis zum Erbrechen bekannter, Vorhersehbarkeit. Nichts verläuft erwartungsgemäß - obwohl keiner der Beteiligten es schafft, den Schatten seiner vorherbestimmten Rolle, sein soziales Romanschicksal, zu überspringen."

Geben wir also einem anderen Roman eine Chance, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Best of Feuilleton 2008

Der Blog Umblätterer, der die Feuilletons der deutschen Tageszeitungen nicht nur präsentiert, sondern auch bewertet, hat zum Beginn des Jahres 2009 ein Best-of von Feuilleton-Artikeln des Jahres 2008 veröffentlicht: "Wir interpretieren das Feuilleton als nicht enden wollenden Gegenwartsroman, mit all seinen literarischen Glanzpunkten und inhaltlichen Schrecklichkeiten. Und dem schönsten aller Texte wollen wir endlich einen Titel verleihen."

Sehr lesenswert sind tatsächlich einige dieser Artikel:

Alex Rühle schreibt über den furchtbaren Jargon der meisten Literaturkataloge:

"Fangen wir also mit dem Offensichtlichsten an, den Adjektiven. Bücher werden eigentlich ausschließlich mit Adjektiven beworben.Und zwar mit so vielen, dass man am Ende kein einziges behalten hat. 

Ein Beispiel, beliebig herausgegriffen. Suhrkamp behauptet, Hans-Ulrich Treichels neuer Roman 'Der Papst, den ich gekannt habe' sei beschwingt, ironisch, herrlich komisch, leichtfüßig und verstörend, unwiderstehlich, fragil und berauschend schnell.

[...]

Oder [...] Schopenhauers 'Parerga und Paralipomena' lesen. Darin heißt es, genauso schwer wie die Kunst des Lesens sei 'die Kunst, nicht zu lesen: Um das Gute zu lesen, ist eine Bedingung, dass man das Schlechte nicht lese: denn das Leben ist kurz, Zeit und Kräfte beschränkt.'"

Benjamin von Stuckrad-Barre, der offensichtlich reifer geworden ist und nicht mehr ganz so furchtbar widerlich wie etwa in Livealbum, das stilistisch mit dem Artikel am ehesten verwandt sein dürfte (zumindest von den Sachen, die ich von ihm kenne), rezensiert eine Lesung von Roger Willemsen, Claus Peymann und Charlotte Roche ohne Charlotte Roche:

"'Schönberg sagt', sagt jetzt der angemessen ratlos zwischen den beiden Rampenradikalen auf dem Podest sitzende Ersatz-Hermann Beil, im Hauptberuf Peymanns Dramaturg, 'ich bin immer gegen den Strom geschwommen'. Willemsen nickt."

[...]

"Aber das Godesberger Programm mit der Überschrift 'radikal' zu versehen, da ist Willemsen zu Recht sicher, das ist eine nachvollziehbare Turnübung, da denken dann alle: Huch! Echt, das steht da? Na, das klingt ja nach akutem Lafontaine! Denken wir nur an die SPD dieser Tage, ihren Bahn-Privatisierungs-Spagat, also, denk, denk, ist es denn die Möglichkeit, chapeau - radikal, das mal so zu sehen!"

Saturday, January 10, 2009

Die Zukunft der New York Times

Ich gebe zu, ich habe gestern als Nachricht bezeichnet, was ein langer und komplexer Artikel ist, den ich aber erst heute komplett gelesen habe. Michael Hirschorn nimmt lediglich die rein hypothetische Möglichkeit, dass die New York Times im Mai 2009 pleite gehen könnte - er selbst nennt direkt im Anschluss verschiedene Gegenmaßnahmen -, als Anlass für eine Betrachtung des Nebeneinander von Print- und Onlinejournalismus.

Er schreibt:

"But the business strategy of The New York Times, as practiced since Abe Rosenthal’s editorship in the early ’70s, when New York magazine first threatened the daily’s stranglehold on the city’s lumpen upper-middle class—and as imitated by countless papers around the country—has undermined the perceived value of serious newspaper journalism as well. Under the guise of “service,” The Times has been on a steady march toward temporarily profitable lifestyle fluff. [...] The fluff is more fun to read than the loss-leading reports about starvation in Sudan, but it isn’t the sort of thing you miss when it’s gone. Not many people would get misty-eyed over the closure of, say, “Thursday Styles,” fascinating as its weekly shopping deconstructions often are."

Und er fragt sich, wie die Zukunft dieser Zeitung dann aussieht, wenn sie ausschließlich im Netz erscheint:

"In an optimistic scenario, the remaining reporters—now reporters-cum-bloggers, in many cases—could use their considerable savvy to mix their own reporting with that of others, giving us a more integrative, real-time view of the world unencumbered by the inefficiencies of the traditional journalistic form. Times readers might actually end up getting more exposure than they currently do to reporting resources scattered around the globe, and to areas and issues that are difficult to cover in a general-interest publication."

Nur leider erwähnt Hirschorn das pessimistische Szenario nicht. Für Menschen, deren Beruf es ist, sich mit Medien und Nachrichten auszukennen, ist es sicherlich möglich, sich durch den Wust an Informationen zu graben, um die guten und vertrauenswürdigen Quellen zu solch unvorhergesehenen Ereignissen wie der Situation in New Orleans nach dem Hurrikan oder den Anschlägen in Mumbai zu finden. Für den "normalen" Leser ist dies aber nicht möglich. Er vertraut auf die Kompetenz seiner Zeitung(en). Denn die "inefficiencies of the traditional journalistic form" sind ja nicht nur Platzmangel im Blatt, sondern auch, unter Umständen mehrere, Redaktionen eines Artikels - und damit ein Zuwachs an Objektivität im journalistischen Sinne. Was meines Erachtens mittlerweile ganz gut funktioniert, aber sicherlich verbessert werden kann, ist der Einbezug dieser Quellen in die Printberichterstattung, um vor allem eine gehörige Portion Authentizität zur eigenen Meinung hinzuzufügen.

Nun schreibt Rick Edmonds, dass Hirschorn basales Hintergrundwissen fehle, um Finanzjournalist zu werden und stellt einige der Vorannahmen richtig. Die wichtigste Korrektur:

"The New York Times leads all newspapers by a wide margin in the average time a typical unique visitor spends online. But that is 36 minutes per month (according to Nielsen's measure for November) -- just a little more than a typical Times print reader would spend with it per day. So where does most New York Times reading take place? By a wide margin, in homely old print (where, not coincidentally, ad revenue remains similarly concentrated)."

Edmonds schließt mit dem pessimistischen Szenario, das Hirschorn wegließ:

"How about getting your political news from Politico, your sports news from ESPN.com, your showbiz news from EW.com, your international news from an assortment of options, and your local news from somewhere to be determined? In short, the news would come from professionally reported and edited sites with standards -- just not the single unifying standard of The New York Times or other quality publications."

Man kann also vermuten, dass die Marke The New York Times das tut, was Marken so tun: Komplexität so zu reduzieren, dass man nicht bei jeder Nachricht eigenhändig überprüfen muss, ob sie stimmt, sondern einfach davon ausgehen kann, dass das in der Redaktion selbst geschehen ist. Dass durch die Ausweitung des Themenspektrums und den Versuch, das Blatt einer größeren Menge an Lesern schmackhaft zu machen, die Wahrnehmung guten Journalismus verzerrt worden sei, leuchtet mir nicht wirklich ein. Es wurde vermutlich einfach der Leserkreis weiter ausgedehnt, um mehr Profit machen zu können. Dass ein Leser, der sich durch diese Rubriken hat akquirieren lassen, seine Informationen heute vielleicht eher im Netz findet als jemand, der nach Reportagen über die Dürre im Tschad und deren Konsequenzen sucht; dass also vielleicht der Leserkreis etwas schrumpft, muss ja nicht automatisch das "Ende des Geschäftsmodells" sein.

Denn was eine große Zeitung ja gerade interessant macht, ist ihr Anspruch des "general interest". Spezialzeitschriften für Osteuropa oder Literaturkritik gibt es (und, wie man sieht, normalerweise auch mit Online-Angebot), und auch ein Publikum. Aber es gibt eben auch eine beträchtliche Anzahl an Menschen, die eine breite Vorauswahl, die für sie getroffen wird, bevorzugen; und zwar vor allem, wenn sie für sich vorher ausgewählt haben, wer diese Auswahl für sie treffen soll, mit der Entscheidung also, welche Zeitung(en) sie lesen. Deswegen ist es durchaus etwas anderes, ein physisch begrenztes Produkt einer Redaktion oder ein Netz an untereinander verlinkten, spezialisierten Blogs zu konsumieren.

Vertrauen wir also vorerst darauf, dass die NY Times nicht gleich im Frühjahr abschmiert.

Friday, January 9, 2009

"Das Internet schafft gigantische Möglichkeiten für Qualitätsjournalismus."

In der Neuen Zürcher Zeitung ist ein Interview mit Jay Rosen, Journalistikprofessor in New York und Blogger unter anderem bei der Huffington Post. Gemeinsam mit der Nachricht, die New York Times sei unter Umständen im Mai pleite, wenn 400 Mio. Dollar Schulden fällig würden, aktualisiert das die mittlerweile fast schon alte Frage nach der Zukunft des Journalismus im Netz.

Rosen beruhigt: "Es könnte eine Katastrophe für einige Verlage werden, aber mit Sicherheit nicht für die freie Presse als solche." Gleichzeitig gibt er aber zu bedenken: "Journalisten müssen lernen, unternehmerischer zu denken, eigene Unternehmen zu gründen und allein oder in kleinen Gruppen zusammenzuarbeiten." Dies muss sich keineswegs widersprechen, aber die Gefahr eines Widerspruchs zwischen freier Presse und unternehmerischen Gedanken, die auch die Art und Weise zu arbeiten und zu schreiben beeinflussen können, dräut.

Unabhängig davon geht es mir allerdings gegen den Strich, dass zwangsläufig alle Zeitungen nur noch online zu lesen sein sollen. Wann lesen eigentlich diese Leute Zeitung, bzw. wie? Die haptische Erfahrung der Zeitungsseiten, eine Seite in der U-Bahn herauszureißen, um diese zu Hause zu archivieren oder einem Freund zur Lektüre mitzugeben sowie mein eigenes Leseverhalten, das sich zwischen Online und Print einfach erheblich unterscheidet, ließen mich einen Verlust empfinden, wenn dies tatsächlich eintreten sollte. Darüber hinaus will ich, dass die Journalisten, die ich gern lese, ihre Zeit der weiteren Verfeinerung ihres Fachwissens bzw. dem Schreiben von Artikeln widmen und nicht der Anzeigenakquise für ihre Webseite oder dem Knüpfen von irgendwelchen Netzwerken.

Zweifelsohne bietet das Netz den Zugang zu lauter journalistischen Angeboten, die sonst ungenutzt blieben; ich bin nicht zuletzt eifriger Leser des Perlentaucher. Und die Kontakte der Journalisten untereinander sind für ihre Arbeitsbedingungen wahrscheinlich auch von Vorteil. Nur sollte doch klar sein, dass guter Journalismus unabhängig vom Medium (ob in Fernsehen, Radio, Zeitung oder Online) an ähnlichen Kriterien gemessen werden kann und nur unterschiedliche Arten der Vermittlung nutzt.

Ich schließe erst einmal damit, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Lektüreeinstellung gegenüber der Marke einer Zeitung und gegenüber der Marke eines Namens. Und dass ich von einer Online-Zeitung gar nicht erwarte, mich umfassend zu informieren, sondern dass ich dort eher danach Ausschau halte, was gerade interessant aussieht oder was andere Lektüreerfahrung für mich ergänzen kann. Sodass es eben beides braucht, Print für den Frühstückstisch und den Bahnhofskiosk, Online für kurze, intensive Recherchen und Ergänzungen zu spannenden Themen.

Thursday, January 8, 2009

Pascal Mercier - Nachtzug nach Lissabon

Ich habe heute morgen das Buch "Nachtzug nach Lissabon" beendet, von dem ich bis dahin lediglich gehört hatte, dass es tiefe Verehrung oder brüske Ablehnung durch seine Leser erfahre - je nachdem, mit wem ich darüber sprach. Nun kann ich mir ein eigenes Urteil bilden - und bin tatsächlich über die extrem positive Kritik des Buches in Spiegel und Zeit erstaunt. Natürlich ist es selten, dass ein Publikumserfolg auch bei Literaturkritikern erfolgreich ist.

Die Geschichte ist schnell umrissen: Raimund Gregorius, Lehrer für alte Sprachen an einem Berner Gymnasium, stößt zufällig auf die Aufzeichnungen eines portugiesischen Arztes aus den 70er Jahren. Er wirft sein extrem in festen Spuren verlaufendes Leben über den Haufen, lernt portugiesisch und besucht das Land, um dem Leben des Arztes zu folgen. Dabei lernt er seine beiden Schwestern, seine noch lebende Jugendliebe und weitere Lebensbegleiter kennen und dringt in die Geschichte der portugiesischen Diktatur bzw. eigentlich in die Geschichte einiger Protagonisten des Widerstands ein. Am Ende, vermutlich aus Krankheitsgründen, kehrt er nach Bern zurück und begibt sich in ein ärztliche Untersuchung.

In der Zeit lobte Otto Röhmer die Art und Weise, wie "Mercier seine eigenen Einsichten [Prado, dem Arzt] so kunstvoll einflüstert, dass sie sich umstandslos an den Leser weitergeben", und zwar indem der Leser die von Gregorius übersetzten Texte über den Text verteilt liest.

Claudia Vogt hob im Spiegel hervor, wie es Mercier gelingt, "in durchsichtigen, prägnanten Sätzen eine spannende Geschichte mit existenziellen Fragen nach Einsamkeit und Tod zu verknüpfen".

Burkhard Müller war offensichtlich (laut perlentaucher) kritischer, der Artikel ist aber leider nicht online.

Nun, ich verstehe die Begeisterung nicht. Es gibt natürlich einige interessante Aspekte an dem Roman, keine Frage, aber was ist es, das stört? Dass der Autor sich je hälftig in den Arzt und in den Lateinlehrer hineingeschrieben hat? Einerseits scheint es den Wunsch zu geben, bei den eigenen Studenten derart beliebt zu sein, dass sie ihn vermissen würden, verließe er ohne erkennbaren Grund den Unterrichtsraum. Andererseits hat er auch so viel zu sagen, was bei den wenigsten ankommen wird, denn wer liest heutzutage schon noch Philosophie? Da ist ein Band von Betrachtungen, gewissermaßen eingebettet in das lesbarere Format eines Romans, doch viel einfacher. Nur sind die Überlegungen Prados sooo revolutionär ja nicht. Was heißt: die Faszination des Lehrers für den toten Arzt bleibt bis zu einem gewissen Punkt immer behauptet.

Oder stört, dass der Autor den Leser für zu dämlich hält und deswegen gebetsmühlenartig die Struktur des Romans beschwört?

"Wenn ihm jemand vor einer Woche, als er, Lateinhefte korrigierend, in seiner Berner Wohnung gesessen hatte, prophezeit hätte, er würde sieben Tage später in einem neuen Anzug und mit einer neuen Brille in Lissabon auf einem Boot sitzen, um über bei einem gefolterten Opfer des Salazar-Regimes etwas über einen portugiesischen Arzt und Poeten zu erfahren, der seit mehr als dreißig Jahren tot war: er hätte ih für verrückt gehalten." - S.137f.

"Wie war es überhaupt dazu gekommen, daß er in Lissabon in einem unerträglich niedrigen Raum in erstickendem Qualm saß und gegen einen abstoßenden Mann spielte, der ihn nicht das geringste anging und mit dem er kein Wort wechseln konnte?" - S. 250

"Ob sie mit ihrem Leben zufrieden seien, fragte er. Mundus, ein Berner Altphilologe, der galizische Fischer am Ende der Welt nach der Einstellung zu ihrem Leben fragte." - S.443.

Oder dass er Dinge expliziert, die man auch zeigen kann?

"Er genoß es, die verrückte Fahrt gemacht zu haben und jetzt hier zu sein [...]" - S. 443.

oder einfach diese hin und wieder auftretenden Elemente irgendwie erbaulicher Literatur; ich weiß nicht, wie oft ich den rotglänzenden oder rotgoldenen Assam verflucht habe. Warum haben nicht nur die Hauptfigur und sein bester Freund, ein Augenarzt, sondern auch noch der portugiesische Arzt Schlafstörungen? Warum muss Gregorius anfangen zu rauchen? Und warum diese unzähligen Zaunpfahlwinke, dass sich seine Sicht auf die Dinge verändert, dieses Hinstoßen des Lesers auf die feine Metapher der Brille und der Sehproblematik, ja des Schwindels am Ende, der ihn immer heftiger erfasst? Das geht doch eleganter!

Interessant erscheint mir vor allem der Rückflug nach Hause in die Schweiz nach zwei Wochen, ein Moment, wo man die Hauptfigur mal nicht so richtig versteht und wo der Autor nicht versucht hat, dem mit seitenlangen Abhandlungen abzuhelfen, sondern uns einfach mal ein bisschen tappen lässt. Dies wird nach nur allzu kurzer Zeit dann auch aufgehoben. Und bestimmte Detailbeobachtung wie jene der typischen Nachbarin, die aufpasst, was im Hause passiert und am Fußabtreter erkennt, ob er wieder da ist; oder die violett leuchtenden Vene der Hand Adrianas.

Aber vielleicht erschließt sich der "wahre Wert" der Betrachtungen eher den Menschen, die selbst bereits ihr Leben als in festen Bahnen verlaufend erkennen und davon erschreckt sind, sich aber selbst nicht trauen würden, etwas derartiges zu unternehmen, also Leuten über 40.

DuMont steigt beim Berliner Verlag ein?

Die Süddeutsche Zeitung meldet, der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont übernehme die Mehrheit am Berliner Verlag, zu dem unter anderem mein altes Hausblatt Berliner Zeitung gehört. Bei diesem war nach der Übernahme durch den Mecom-Konzern und dem Wechsel von Uwe Vorkötter zur Frankfurter Rundschau sowie der Übernahme der Chefredaktion durch Josef Depenbrock ein unschöner Qualitätsverlust zu verzeichnen.

Nicht nur, dass zahlreiche Journalisten gingen (Rouven Schellenberger und Brigitte Fehrle auch zur FR), das ist ja ganz normal; seltsam war die unmerkliche, mit einer Lesepause von drei Monaten dann aber doch sehr manifeste Änderung im Schreibstil. Ich denke, dass es vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen wäre, Dinge zu schreiben, wie Willi Germund, der Ostasien-Korrespondent, es am 22.12.2008 auf der Meinungsseite zum eskalierenden Konflikt zwischen Pakistan und Indien tat:

"Die ewigen Querelen zwischen Indien und Pakistan um jedes kleine Detail gingen allen anderen auf die Nerven. Wenn die Atommacht Indien Terroristen erlaubt, mit einer einzigen Attacke gleich wieder Verhältnisse wie vor zehn Jahren herzustellen, dann begibt sie sich auf das Niveau, auf dem der Nuklearstaat Pakistan herumkreucht."

Oder auch der Artikel des Chefredakteurs vom 31.12.2008, dessen Titel, man hofft es, ein Wortspiel ist und keine sprachliche Entgleisung: "Das Schlimmste kommt meist nie". Dort kommt er nach einer recht unzusammenhängenden Aneinanderreihung verschiedener Schlagzeilen der vergangenen Monate zum Fazit,

"Es ist wie beim Turmbau zu Babel, der Mensch strebt stets nach Höherem, nach mehr. Also werden Arm und Reich 2009 in gleichem Maße emsig an ihrem persönlichen Optimum werkeln. Und immer mehr Menschen dürfen dabei selbst bestimmen, was sie als Optimum überhaupt ansehen, materielles oder emotionales oder beides in perfekter Harmonie.

Zweifelhaft ist wohl, dass allen Menschen im neuen Jahr ein Mehr an Wohlstand gegeben wird, sicher aber ein Mehr an Freiheit und Demokratie. Die Globalisierung der Welt bleibt der beherrschende Trend und nimmt den Despoten zunehmend Raum. Das Wissen um demokratische Prozesse, der Austausch von Gedanken und Techniken sind nicht zu stoppen. Eines Tages, das ist gewiss, lässt sich Freiheit nirgendwo mehr verweigern, denn immer mehr Beispiele der Selbstbestimmung umrunden per Internet die Welt."

Dieser Ton ist neu. Es ist recht schwierig, dieses diffuse Gefühl aufzulösen; schließlich bleiben auch nach dem Weggang von Autoren wie Arno Widmann immer noch sehr gute Leute wie Christian Bommarius, Jens Balzer oder Anke Westphal (diese Aufzählung ist non-exhaustive). Aber man darf doch vom bewiesenermaßen sehr fundiert berichten könnenden Germund und erst recht vom Leitartikel des Chefs zum Jahresende eine etwas differenzierte Sicht erwarten.

Nach den Berichten zu den Sparplänen bei der Netzeitung, die im selben Haus entsteht, drängt sich aber der Gedanke auf, dass die zunehmenden Probleme des Printjournalismus in diesem Falle sehr wohl auch hausgemacht sind: Wer seinen Lesern so etwas zumutet, bzw. denkt, er könne ihnen nicht auch mehr zumuten, wer also zunehmend auf generische Inhalte setzt, dem laufen die Leser davon, bzw. fehlt nicht sonderlich viel, wenn man überhaupt gar keine Zeitung mehr liest, sondern seine Informationen im Internet zusammenklaubt. Das geht nicht unbedingt schneller, und ist bei weitem nicht besser als guter Printjournalismus, aber es kostet eben auch kein Geld.

Insofern: die Nachricht ist gut! Man hofft, dass die Zeitung nicht so ausgeblutet ist, dass das Engagement von DuMont sich lohnt und innerhalb eines halben Jahres wieder eine richtig gute Zeitung entstehen kann.