Friday, June 5, 2009

Internetdebatte in der ZEIT

In der Zeit entsteht so etwas wie eine Internetdebatte. Adam Soboczynski veröffentlichte einen Artikel mit dem den Inhalt widerspiegelnden Titel "Das Netz als Feind".

"Jedem, der wachen Auges durch das Internet streift, ist die antiintellektuelle Hetze in den Kommentaren vertraut, die sich gegen angeblich Sperriges richtet, gegen kühne Gedanken, gegen Bildung überhaupt. […] Nicht den Hauch einer Berechtigung hat die Hoffnung, noch auf Leser zu stoßen, die – vielleicht gar leicht verschämt – Unverstandenes als Antrieb begreifen, ihre Bildungs- und Konzentrationsdefizite zu beheben."

Hm. Was soll man da eigentlich argumentieren? Dass das vermutlich Leute sind, die den Artikel ohne Internet gar nicht gelesen hätte, weil sie für das Trägermedium kein Geld ausgegeben hätten? Dass auch normale Leser das denken, nur eben keine Feedback-Funktion haben? Dass Leser, die Bildungsdefizite bei sich feststellen, einfach sich informieren, aber eben keine Antwort schicken?

"Die meisten von Zeitungs- und Magazinverlagen geführten Internetangebote neigen mittlerweile dazu, in bislang ungeahntem Ausmaß leicht Bekömmliches dem argumentationslastigen Stück, die Nachricht der Analyse vorzuziehen."

Muss man jetzt auf die ZEIT-Webseite und vor allem auf deren Newsletter hinweisen? Auf irgendwelche Quizzes und natürlich die im Newsletter verschickten Agenturmeldungen? Auf die Banalvideos über die Zukunft der Stadt? Offenbar.

Aber dann kommt der Zaunpfahl:

"Bildungsfeindlichkeit gelangte zuletzt prägnant zur Blüte in den beiden sozialistischen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Sie richteten sich gegen den störrischen, nicht restlos absorbierbaren Intellektuellen […]. Da der Intellektuelle aus der Mehrheitsdemokratie geistesaristokratisch herausragt, ist er der Einzige, der die Bedingungen der Staatsform, in der er lebt, zu reflektieren vermag. Er stabilisiert Demokratie, indem er sich ihr wesenhaft entzieht."

What? Heißt das, Soboczynski befürchtet den Frankensteinschen Fackelzug des Lynchmobs demnächst in seiner Straße?

Gero von Randow hat auf diesen Artikel in der ZEIT geantwortet. Dabei kritisiert er vor allem den von Soboczynski benutzten Begriff des "Geistesaristokraten" als Synonym und Erklärung für den Intellektuellen, indem er ausführt, dass der Intellektuelle sich aus der Deckung und auf den Markt der Meinungen begibt, um Mehrheiten für seine Intervention zu finden.

"Dass die Öffentlichkeit atomisiert werde, diese Klage wird seit einiger Zeit geführt. […] Sollte Zerstreuung an die Stelle der Versammlung treten, hätte die Demokratie tatsächlich ein Problem, […]. Doch in Wirklichkeit existiert außer dieser Tendenz ebenso gut ihr Gegenteil. Zumal im Internet. Denn [es] organisiert sich im Netz sehr wohl die intellektuelle Kritik, und zwar keineswegs bloß in »Internetrandzonen«."

Zuletzt schaltet sich Jens Jessen ein.

"Insofern profitiert die Freiheitlichkeit des Netzes nicht von seinen technischen Eigenschaften, sondern vom Zivilisationsstandard seiner sozialen Umgebung. Nicht das Internet bereitet die Demokratie der Zukunft vor, sondern die Demokratien der Gegenwart sichern dem Internet – hoffentlich! – seine Zukunft."

Nein, Herr Jessen, sowohl als auch. So wie Wahlen nur in einem freiheitlichen System funktionieren und dieses gleichzeitig perpetuieren, so ist Freiheit im Internet - bzw. in der Öffentlichkeit - zugleich Voraussetzung u n d Folge der demokratischen Grundordnung.

"Es wird im Netz nicht gern gesehen, wenn Äußerungen qualifiziert oder gar nach Würde und Sachhaltigkeit des Argumentes in eine Hierarchie gebracht werden."

Das ist natürlich nur teilweise richtig. In jedem Diskussionsforum gibt es Regeln, an die sich die Nutzer zu halten haben, man muss stets ein AGB-Formular unterzeichnen, in dem man sich damit einverstanden erklärt. Und bestimmte Angebote wie wikipedia hätten kaum einen Erfolg zu verzeichnen gehabt, würden Nutzer dieses Hierarchieprinzip nicht akzeptieren. Nur kommt es eben darauf an, von wem.

"Dieses Ideal einer unendlichen und unendlich diffus bleibenden Diskussion wäre zwar noch immer kein demokratisches, aber doch harmloses, wenn sich nicht der Eindruck aufdrängte, am Ende werde die kommerzielle Währung des Internets, die Klickrate, auch für ein denkbares Abstimmungsverfahren in geistigen Auseinandersetzungen gehalten."

Aber die kommerzielle Währung des Internets, die Klickrate, wird vom Mediensystem selbst bestimmt. Man darf daran erinnern, dass dies im Printbereich die Auflage war und dass es allein an der Unmessbarkeit der "Auflage" einzelner Artikel liegt, dass diese Klickratenökonomie nicht bereits lange gilt. Meine Vermutung ist hier eher, dass dem Leser ein Bewertungssystem angetragen wird, ohne das er genauso gut leben könnte.

Zuletzt: Wieso traut niemand dem Leser zu, was man ihm in den letzten Jahrzehnten zugetraut zu haben scheint? Sich für die ZEIT oder den Rheinischen Merkur zu entscheiden, oder gar für beides. Bekommen die Zeitungen nicht stapelweise Leserbriefe mit Anfeindungen? Es ist im Netz einfacher, für einen breiten Kreis von Lesern zu veröffentlichen, aber das heißt doch nicht, dass es nicht vorher auch Menschen gab, die sich selbst für Intellektuelle hielten und deswegen einen Anspruch auf Beachtung und Einfluss einklagten. Ohne dass man ihnen allzuviel Aufmerksamkeit schenken musste. Vielleicht ist der Intellektuelle auch jemand, der ein Problem erkennt, dieses benennt und damit ein latentes Bedürfnis bei den Rezipienten befriedigt?

Friday, May 29, 2009

Netter Versuch, ZDF

Das ZDF launcht eine neue Fake News-Sendung, die heute show. Moderiert wird sie von Oliver Welke und orientiert sich lt. Zeit am Vorbild der Daily Show auf Comedy Central.

Nicht so schlecht wie erwartet, und war ja auch das erste Mal. Vielleicht ein paar Sachen aber vom Zuschauer:

* Ich will das Publikum nicht sehen. Gibt es ja bei News auch nicht.

* Welke sagt im Interview über mögliche Boulevardthemen: "Gelegentlich lappt ja Politik auch mal in andere Lebensbereiche hinein. Schauspieler lassen sich vor Parteikarren spannen. Oder Edmund Stoiber redet über die Bundesliga. Dann könnte sogar Fußball mal vorkommen." Wenn dann aber Jürgen Klinsmann und der FC Bayern und ein Wolfsburg-Witz drin vorkommen, ist das ein bisschen schwach.

* "Schlitzis"? Ernsthaft, rassistische Witze kann man machen, aber vielleicht ein bisschen intelligenter. Oder müssen wir uns sonst auf lauter Chinesen-Hot-Dog, Schotten-nackt-unter-dem-Kilt und so weiter Witze gefasst machen?

* Und Ihr habt über die Bundespräsidentenwahl nichts anderes gefunden als diese selbstbezogenen Witze? Wie wäre es denn, den Wandel des Horst Köhler mit Äußerungen zum Markt und zur (sozialen) Marktwirtschaft zu illustrieren? Beide Kandidaten bieten dafür doch ausreichend Material, wenn man eine Riesenredaktion wie das ZDF hat. Den Loriot-Witz fand ich gar nicht schlecht.

* Die Präsentation im Internet ist heroisch schlecht. Geht es noch kleiner. Wieso kann man das nicht einbinden? Aaargh.

Nachtrag, 23:14: Wirklich schäbig ist aber, sich nicht nur das Modell, sondern auch die Hälfte der Witze und Formate vom Vorbild abzuschauen. Bäh. Macht Ihr dann bald auch Witze über George W. Bush?


The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Poll Smoking - 2006 Midterm Elections
thedailyshow.com
Daily Show
Full Episodes
Economic CrisisPolitical Humor

Nachtrag 2, Samstag 00:52: Danke. So geht es also auch. (Und wieso verstehe ich wieder nicht, wie die Mediathek beim ZDF funktioniert? Oder sollten sie einfach einen Link dazu posten??)

Friday, May 15, 2009

Miriam Meckel zum zweiten

Miriam Meckel, wieder in der FAZ, mit sehr ähnlichen, nur halb überlegten Argumenten. (Um nicht in den FAZ'schen Strudel der Vergütungsforderungen zu geraten, den Artikel veröffentlicht Meckel auch auf ihrem Blog). Ihre Definition von Journalismus lautet:

"Journalisten beobachten die Welt mit der Aufgabe und Zielsetzung, das Ergebnis ihrer Beobachtung professionell aufzubereiten und es als Nachricht, Bericht oder Reportage wieder in die Gesellschaft einzuspeisen."

Dies impliziert, Journalisten befänden sich außerhalb unserer Gesellschaft. Was so nicht ganz stimmt. Und der Satz impliziert selbstverständlich keineswegs, dass alle Journalisten, oder auch nur die Mehrheit, der Aufgabe nachkommen und das gesetzte Ziel erreichen.

"Die Internetunternehmerin Ariana Huffington hat ihre Antwort auf diese Frage [nach der Finanzierung von Qualitätsjournalismus] vor einigen Tage bei der US-Senatsanhörung […] auf den Punkt gebracht: Die Zukunft liegt nicht im Qualitätsjournalismus, der durch ein Mediensystem getragen ist. Sie liegt in einer Kombination aus Bürgerjournalismus und stiftungsfinanzierten Investigativfonds. Den Journalisten und Zeitungsmachern ruft Huffington zu: 'If you can’t find your way to that, then you can’t find your way.'" (Die Links sind von Frau Meckel.)

Dass Arianna Huffington nicht (nur) Internetunternehmerin ist, sondern so etwas wie eine Verlegerin im Netz, unterschlägt Meckel, und damit wird sie der Aussage Huffingtons auch nicht gerecht. Entstellend auch: Einer der ersten Sätze im Testimony ist: "Journalism Will Not Only Survive, It Will Thrive." Huffington macht ihren Punkt klar: "Since good journalism plays an indispensable role in our democracy, we all have a vested interest in making sure that our journalistic institutions continue producing quality reporting and analysis. But it’s important to remember that the future of quality journalism is not dependent on the future of newspapers."

Und dass die "Lebenserfahrung und die Beobachtung ihrer Lebenswelt" von Bürgern, welche jene im Netz veröffentlichen, genau das Gegenteil von "Reproduktion und Neukombination von vorhandenen Informationen" sein müsste, verkennt Meckel ebenso. Huffington hingegen definiert: "'Citizen Journalism' is shorthand for a collection of methods for producing content by harnessing the power of a site’s community of readers […]".

"Es ist an der Zeit, eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, dass Qualitätsjournalismus zu den Institutionen einer freien und demokratischen Gesellschaft gehört - so wie freie Wahlen, freie Gerichtsbarkeit und die Trennung der Staatsfunktionen."

Nana! Freie Presse bzw. die Pressefreiheit (Art. 5 GG) gehört zu den Institutionen einer demokratischen Gesellschaft. So wie freie Wahlen (Art. 28 GG), freie Richter (Art. 97 GG) und die Trennung der Staatsfunktionen (Art. 20 GG). Von "Qualitätsjournalismus" spricht unser Grundgesetz nicht. Huffington könnte man dazu so argumentieren lassen:

"We must never forget that our current media culture led to the widespread failure (with a few honorable exceptions) to serve the public interest by accurately covering two of the biggest stories of our time: the run-up to the war in Iraq and the financial meltdown."

In Deutschland gilt das zweite sicherlich deutlich mehr, aber Frau Meckel sollte die Ironie, dass sie in der FAZ schreibt, nicht mehr entgehen, wenn es um die Finanzkrise geht.

"Es reicht […] nicht, fortwährend über neue Geschäftsmodelle im Internet zu philosophieren und Werbeeinbrüche zu beklagen. Der Journalismus muss sein Überleben auch selbst in die Hand nehmen und für sich argumentieren. Er muss seine Kunden überzeugen, dass journalistische Qualität einen sozialen Wert hat, der wiederum eines materiellen Gegenwerts bedarf. Und dafür muss eine Gesellschaft bezahlen."

Aber die Presse wäre eben nicht frei, wenn sie vom Staat, also der Gesellschaft, finanziert würde. Deswegen muss es Gespräche über Geschäftsmodelle geben. Die es übrigens schon lange gibt. Wie Meckel selbst zugibt, ist der Kanal für Journalismus dabei unerheblich. Nur wenn es um Kunden geht, dann geht es eben auch um Geschäft. Kunden sind aber etwas anderes als "eine Gesellschaft".

Schließlich: entgegen einer von Meckel getroffenen Aussage reduziert guter Journalismus die Komplexität der Welt nicht, sondern er erhöht sie. Komplexitätsreduzierend wirken abgedruckte dpa-Meldungen zur Schweinegrippe; eine seitenlange Reportage über die Zusammenhänge von Energieverbrauch, Klimaschutz und der Auswirkung diesbezüglicher umweltpolitischer Maßnahmen auf Menschen in Europa und anderswo bringt Lesern die verwirrende Komplexität der Welt doch erst näher.

Der Makel an Meckels Artikel (welch nette Alliteration) ist, dass sie keine eigentliche Lösung anbietet. Das könnte daran liegen, dass gerade sehr viele, sehr intelligente Menschen daran arbeiten, für genau das Problem eine Lösung zu finden, aber soweit noch nicht sind. Meckel begnügt sich aber mit dem vagen Vorschlag, "der" Journalismus müsse für sich argumentieren und seine Leser überzeugen. Wie, womit; das bleibt offen.

Stefan Niggemeier schreibt aus viel umfassenderer Perspektive, nämlich über Qualitätsjournalismus überhaupt, erwähnt aber auch: "Sie meint das nicht böse […]".

Saturday, May 9, 2009

Schau heimwärts, Engel!

Elogen auf einen der besten Romane, die ich je gelesen habe: Schau heimwärts, Engel! in einer Neuübersetzung, besprochen von Arno Geiger (Welt) oder von Werner von Koppenfels (FAZ). O lost!

Thursday, May 7, 2009

Kurz was Neues

Großartiger, sehr ausführlicher Artikel von Peter Mühlbauer über die Open Access-, Copyright- und Urheberrechtsdebatte in Telepolis.

Und was dazu dann sehr gut passt: Ein Fake-Journal, das beim Riesenverlag Elsevier erschien.

Ein ganz hervorragender Hintergrundartikel auf netzpolitik.org über die Debatte der Sperrung von Internetseiten wegen kinderpornografischen Inhalts. (Ich wünschte nur, er hätte das jemandem zum Korrekturlesen gegeben.)

Friday, April 10, 2009

Politisches Handeln in der Finanzkrise

Ich entdecke gerade via FAZ via perlentaucher die "Blätter für deutsche und internationale Politik". Die FAZ ätzt, vielleicht zurecht:

"Ja, man hat den Eindruck, nichts scheue linke Kulturkritik im Augenblick so sehr wie dies: konkret zu werden. Man könnte ja in die Verlegenheit kommen, die neue postkapitalistische Welt, von der man träumt, mit Sachverstand ausbuchstabieren zu müssen."

Und Christian Geyer fragt weiter: "Wo etwa bleibt die fundierte Kritik an der Wissenschaft der politischen Ökonomie, deren Lehrbücher doch die Drehbücher der gegenwärtigen Krise sind?"

Grundlegendes Problem, zumindest was die erwähnten "Blätter" betrifft, scheint die Fixierung auf die Linkspartei als Instrument zu sein. Albert Scharenberg schreibt über die Entstehung:

"Die anhaltende gesellschaftliche Kritik insbesondere an den Hartz-Reformen trieb ihr Tausende neue Mitglieder zu, und die Erfolge bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen sowie der Bürgerschaftswahl in Hamburg markierten den Durchbruch der neuen Partei im Westen der Republik und die Etablierung eines Fünfparteiensystems."

Er zeigt sich verwundert, dass sie Linkspartei nicht davon profitiert, jahrelang den "Neoliberalismus" gegeißelt zu haben, sondern sich vielmehr dessen "Speerspitze", die FDP, in Umfragen auf Höhenflug befindet.

"Die inhaltliche Ratlosigkeit in Zeiten der Krise wird von der Partei bislang jedoch trotzig verleugnet. In Verkennung der realen Situation wähnen sich viele Aktivisten gar in der politischen Offensive – in der Annahme, der Neoliberalismus sei politisch tot."

Diese inhaltliche Ratlosigkeit war allerdings auch vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte durchaus fassbar, will sagen, die meisten Aktivisten schienen ohnehin davon überzeugt, dass es nur eine Sache der Zeit sei, bis das Gebäude zusammenbricht und man die dann geläuterten ehemaligen Apologeten der mehr oder minder freien Märkte einsammelt und harmonisch vereint einer neuen Zukunft entgegenschreitet. Es scheint deswegen auch nie ein Konzept für konsistentes Handeln vor und nach der Übernahme von Regierungsverantwortung gegeben zu haben.

"Den mit dieser Aufgabe verbundenen Herausforderungen stellt sich das Führungspersonal der Linkspartei bislang jedoch nicht. [...] Kann man eine große, „systemrelevante“ Bank pleitegehen lassen? Muss man jetzt, wie es die Gewerkschaften lautstark fordern, jede Fabrik und jeden von Abbau bedrohten Arbeitsplatz verteidigen? Soll man gar Milliardärinnen, die sich schlicht am Markt verzockt haben, mit Staatsgeldern wieder auf die Beine helfen, wie es die IG Metall im Fall Schaeffler vorschlägt?"

Wie wäre es denn mal mit der Frage über das gewünschte Ausmaß des staatlichen Einflusses auf wirtschaftliches Handeln? Und wie wäre es mit einer Antwort, und das betrifft keineswegs nur die Linkspartei, die so glaubwürdig klingt, dass man auf deren Umsetzung nach der Bundestagswahl vertrauen kann? Ich wünsche mir eine tiefgehende und medienübergreifende Diskussion vor der Bundestagswahl, in der genau dies zur Sprache kommt. Warum bin ich diesbezüglich nichts besonders zuversichtlich?

Sascha Lobo schrieb anlässlich des thematischen Relaunches des "Freitags" nach seiner Übernahme durch Jakob Augstein:

"Aber wo ist das linke, parteiunabhängige Medium, auf das wir warten, die wir Toleranz brauchen, die Freiheit lieben, die Marktwirtschaft akzeptieren, die Veränderungen der Welt bemerkt haben, die Gesellschaft nicht revolutionieren, sondern weiterentwickeln wollen und die Individualität als Wert erkennen, ohne die hohe soziale Verantwortung zu vernachlässigen? [...] Ich will den Kapitalismus nicht abschaffen, sondern optimieren. [...] Ich bin linksliberal-demokratisch mit sozial-marktwirschaftlichem Einschlag und möchte undogmatische, aber klare und intelligente Positionen sehen. Wo ist mein Medium?"

Ich möchte anfügen: Wo ist die Partei?

Wednesday, April 8, 2009

Jon Stewart erklärt Demokratie

The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Baracknophobia - Obey
comedycentral.com
Daily Show
Full Episodes
Economic CrisisPolitical Humor

Christoph Drösser zu Open Access

Christoph Drösser hat einen sehr guten Artikel geschrieben, der die Debatte schön versachlicht:

"Das größte Missverständnis ist aber, dass es sich bei Open Access um eine weitere Form der internetüblichen Umsonstkultur handle. [...] In der Debatte um Open Access ist der antimonopolistische Impetus längst der Frage gewichen, welche Publikationsform für die moderne Wissenschaft denn wirklich die beste ist."

Tuesday, April 7, 2009

Krise und Revolution

Zwei ganz unterschiedliche Artikel über das Grummeln bei den von der Krise bislang eher mittelbar betroffenen Menschen in Deutschland, die sich zu einem ernsthaften Widerstand nicht durchringen können. Der Schriftsteller Ilja Trojanow schreibt in einem sehr langen Artikel in der Zeit, der das Zögern angesichts des Mangels an ernsthaften Alternativen großartig beschreibt:

"Allein die Anarchisten, die mit Leichtigkeit jeden Humor- und Kreativitätspreis unter den Linken gewinnen würden, blicken gewitzt über ihren Horizont hinaus und rufen: »Arbeiter lasst das Schuften sein / reiht euch in die Demo ein!« Die Bauarbeiter winken erfreut vom vierten Stock eines Bürohochhauses hinab. Wie sie auf die revolutionäre Maximalforderung der Partei Die Linke (»10 Euro Mindestlohn, 40-Stunden-Woche«) weiter hinten im Demonstrationszug reagieren, ist nicht überliefert. [...]

Der nachdenkliche Demonstrant muss sich voller ähnlicher Zweifel nach Hause begeben. Wie soll sich ein System, das als imperial, brutal, profitgeil und unterdrückerisch beschrieben wird, von Unterschriftenaktionen und Plakaten zum Umdenken bewegen lassen? Wie soll man utopisch denken und zugleich realistisch handeln, wenn das Problem darin liegt, dass der Gegner (die kapitalistische und politische Elite) den Rahmen dessen vorgibt, was realistisch sein darf?"

Und Timothy Garton Ash spricht in einem Interview mit der Berliner Zeitung, neben seinen Erfahrungen in der DDR und das Jahr 1989, über außerparlamentarische Opposition und ihr mögliches Erscheinungsbild:

"In Europa gibt es Hunderttausende, wahrscheinlich Millionen junger Menschen, die eine Hochschulbildung haben und trotzdem keine Jobs finden. Das ist wie Sprengstoff. Ich vermute, das Jahr 2009 wird das Jahr der 'roten Erika'. [...]

Es wird unruhig werden. Eric Hobsbawm, der große marxistische Historiker, hat gesagt: Wenn der Kapitalismus in die Krise gerät, dann gibt es wieder die Faschismus-Gefahr, den Feind, der rechts steht. Ich sehe das im Moment nicht. Ich vermute, es wird eher eine links-populistische als eine rechts-faschistische Bewegung geben."

Tuesday, March 31, 2009

Stewart: Nachschlag 2

The Daily Show hat schon recht früh die Finanzkrise ins Programm genommen. So beispielsweise am 23. Januar 2008:

The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Very Mad Money
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Daily Show Full EpisodesEconomic CrisisPolitical Humor


Und selbst Jim Cramer war mit der Voraussage über Bear Stearns schon mal im Programm, am 17. März 2008:

The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Broken Arrow
comedycentral.com
Daily Show Full EpisodesEconomic CrisisPolitical Humor


Am Ende fehlt vor allem ja noch die direkte Auseinandersetzung zwischen Cramer und Stewart vom 12. März 2009, über die die New York Times schrieb: "[Stewart's] point was not to hear Mr. Cramer out, but to act out a cathartic ritual of indignation and castigation. [...] Mr. Stewart kept getting the last word, but Mr. Cramer may yet have the last laugh."

Intro:

The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Intro - Brawl Street: Get Ready to Buy Low! And Sell Die
comedycentral.com
Daily Show Full EpisodesEconomic CrisisPolitical Humor


Und das dreiteilige Interview:

The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Jim Cramer Unedited Interview Pt. 1
comedycentral.com
Daily Show Full EpisodesEconomic CrisisPolitical Humor


The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Jim Cramer Unedited Interview Pt. 2
comedycentral.com
Daily Show Full EpisodesEconomic CrisisPolitical Humor


The Daily Show With Jon StewartM - Th 11p / 10c
Jim Cramer Unedited Interview Pt. 3
comedycentral.com
Daily Show Full EpisodesEconomic CrisisPolitical Humor

Thursday, March 26, 2009

Open Access und Wissenschaft

Ein Hinweis auf einen schönen Artikel im perlentaucher von Matthias Spielkamp, der den Streit über Open Access über Wissenschaftspublikationen zusammenfasst und überzeugend kommentiert. Kernpunkt:

"Um in Zeitschriften solcher Verlage zu veröffentlichen, müssen Wissenschaftler in vielen Fällen den Verlagen die exklusiven Nutzungsrechte an ihren Artikeln abtreten. Das bedeutet, dass sie ihre eigenen Beiträge anschließend nicht mehr an anderer Stelle veröffentlichen dürfen, weder auf der eigenen Website noch der ihrer Universität. Ein Honorar erhalten sie dafür nicht; im Gegenteil, die Peer Review, also die Begutachtung der Forschungsergebnisse, übernehmen Wissenschaftler ebenfalls ehrenamtlich, also in den meisten Fällen auf Kosten ihrer Arbeitgeber. Also auf Kosten der Steuerzahler, wenn sie an öffentlich geförderten Institutionen arbeiten, wie etwa Universitäten. Der Steuerzahler zahlt, der Konzern schreibt Gewinne: Wer enteignet hier wen?

[...] So kostet ein Jahresabonnement des "Journal of Applied Polymer Science" mehr als 21.000 US-Dollar (zuzüglich Mehrwertsteuer) [...]."

Vielleicht füge ich noch etwas aus der Nutzerperspektive hinzu: Es vereinfacht das wissenschaftliches Arbeiten und Recherchieren ungemein, Zugang zu Open Access-Artikeln zu haben. Zugegeben unterscheide ich dabei nicht so sehr zwischen den Artikeln, die ich einfach so online finde, und jenen, für die ich mich bei meiner Unibibliothek anmelden muss, um sie von einem Portal dort herunterzuladen - aber diese Perspektive scheint vollkommen ignoriert zu werden, solange nur von den Produzenten geredet wird. Doch heißt es ja vor allem Open Access, nicht Open Publication.

Mir scheint die Publikation kein Selbstzweck. Vielmehr sollten Wissenschaftler daran interessiert sein, möglichst vielen Menschen einen Zugang zu ihren Arbeiten zu ermöglichen; wenn dies schon nicht durch eine immer verständliche Schreibweise geschieht (ich rede hier von den Geistes, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, von Naturwissenschaften habe ich keine Ahnung), dann eben wenigstens durch einen Zugang, der eine so geringe Hürde wie möglich darstellt.

Letztendlich ist es dasselbe Argument, das auch für die Micropayments von Zeitungsartikeln vorgebracht wird, das mir hier aber schlüssiger erscheint: Als Normalnutzer zahle ich keine 6 oder 24 Dollar oder Euro für einen Artikel (online oder über Bibliotheksbestellservices), von dem ich nur das Abstract und den Titel kenne. Dafür sind, sagen wir es offen, viele Artikel, besonders in extrem spezialisierten Zeitschriften, schlichtweg nicht gut genug und dienen scheinbar nur der Verlängerung der eigenen Publikationsliste. Und wohnt man nicht in großen Universitätsstädten mit gut ausgestatteten Bibliotheken, kommt man sehr schnell in genau dieses Dilemma.

Und wenn ich mir die Beschaffungspolitik der Berliner Universitätsbibliotheken so anschaue, wird mir einfach nur noch anders. Die einzelnen Bibliotheken stimmen sich nicht im entferntesten darüber ab, was da beschafft wird (zumindest scheint das so) - was zu dem Umstand führt, dass einige hochspezialisierte Veröffentlichungen, seien dies Zeitschriften oder Bücher, in mehreren oder allen, viele andere dafür aber in keiner der erreichbaren Bibliotheken zu finden sind. Für uns als Studenten wird es deswegen manchmal unmöglich, dem aktuellen Forschungsstand in bestimmten Feldern zu folgen. Ich kann es mir schlichtweg nicht leisten, 50 oder 80 Euro für Veröffentlichungen zu zahlen, selbst wenn sie hervorragend sind.

Insofern sollte die Diskussion vielleicht dahin gehen, wie Modelle entwickelt werden können, die erhöhte Geschwindigkeit und verminderten Hürden von Informationsübertragung für die Nutzer und die Produzenten gleichzeitig sinnvoll zu gestalten.

Wednesday, March 11, 2009

Stewart: Nachschlag 1

Vom 9. März


Vom 10. März

Monday, March 9, 2009

Warum Jon Stewart genial ist

Nach dem Analysten-Hackfleisch, das Jon Stewart verschiedentlich aus Börsenreportern gemacht hat (z.B. hier und hier) mal einen kurzen allgemeinen Lobgesang, denn er hat es so verdient.

Jon Stewart ist Host der Fake-Nachrichtensendung "The Daily Show" auf Comedy Central. Es ist, um dem Missverständnis gleich entgegenzutreten, keine Late-Night-Sendung. Auch wenn die Form sehr ähnlich ist, so ist Stewart doch beizeiten sehr viel politischer und schärfer. In Deutschland kenne ich kein Pendant. Was sehr schade ist.

Stewart hat aber bei allem, was er tut, immer eine Grenze, die er genau kennt und die er nicht überschreitet. Er respektiert jene Menschen besonders, die zu ihm kommen, obwohl er sich über sie und ihre Ansichten lustig macht; und nimmt diese sehr ernst in dem, was sie sagen. Was aber oft zu erstaunlichen Ergebnissen führt: So war Bill O'Reilly bei ihm, dessen Auseinandersetzung mit Barney Frank ich hier schon mal mit einem Video illustrierte.


Und Jon Stewart war auch schon mal beim O'Reilly-Factor:

Einen der großartigsten Auftritte hatte Stewart aber auf einer CNN-Talkshow, Crossfire, hier moderiert von Tucker Carlson und Paul Begala. Carson kam kürzlich auch mal hier vor (via Gawker):

Nur mal für einen Eindruck.

Sunday, March 8, 2009

Die Stunde des Stümpers

Internetkritiker Andrew Keen hat vor einiger Zeit der FAZ ein Interview gegeben. Da ich mich schon damals, als ich das Buch gelesen habe, furchtbar darüber aufregte, ist es vielleicht nützlich, seiner Kritik hier zu begegnen.

"Etablierte Zeitungen werden verschwinden. Andere wird es nur noch als Online-Ausgabe geben oder auf Lesegeräten, wie sie die britische Firma Plastic Logic demnächst in Dresden produzieren will. Auch die Literaturindustrie steht vor einer riesigen Herausforderung durch die Internetkultur. Für die Ära der Massenunterhaltung, für Hollywood, könnte sie gar das Ende bedeuten."

Ok, das mit den Zeitungen wird hier ja immer mal wieder behandelt, da ist er ja bei weitem nicht der einzige, der den Weltuntergang heranrücken sieht. Was genau an der Veränderung der Art und Weise, Zeitung zu lesen, schlimm sein soll, sagt er zwar nicht. Aber mich erheitert der letzte Satz: Keen ist meines Wissens der erste, der Hollywood zu Kultur erklärt. Bislang wurde von Kulturkritikern ja eher die Verdummung der Menschen durch die Seichtunterhaltung der Filmindustrie vorausgesagt. Auf einmal ist es also so, dass man diese vor den Internauten retten muss.

"Das Problem ist, dass sich viele Nutzer, besonders Jugendliche, blindlings darauf [was sie z.B. bei wikipedia lesen] verlassen. Wir müssen ihren kritischen Blick schärfen, ihre Medienkompetenz."

Unzweifelhaft. Aber Schrott stand noch in jedem Medium.

"[FAZ:] In Debatten haben Sie die politische Kultur im Internet mit jener des Kommunismus verglichen und Propaganda-Instrumente ausgemacht, die einem Goebbels gefallen hätten.

[Keen:] Das Internet ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Wir müssen wieder zu einer Kultur der Verantwortung finden."

What? Ich glaube, solche Äußerungen, Frage wie Antwort, verdienen keine ernsthafte Auseinandersetzung. Er fordert dann Betreiber von Blogs etc. auf, darauf hinzuwirken, dass Nutzer nicht mehr anonym bleiben können.

"Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut. Aber für Meinungen muss man auch Verantwortung übernehmen und zur Verantwortung gezogen werden können."

Gott sei Dank gibt es ja auch das Recht auf Ignoranz: Ich nehme Meinungen nur dann ernst, wenn ich einigermaßen weiß, von wem sie kommen.Und ich gehe relativ stark davon aus, dass das viele andere sehr ähnlich halten.

Danach fordert Keen die "Kultur" auf, auf das Internet zuzugehen und ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das mit der neuen Umgebung umzugehen weiß.

"Die Musikindustrie beginnt vielleicht schon zu verstehen, gegen die neue Kultur nur ankommen zu können, indem sie sich ihr zuwendet. Und findet zu ihren Wurzeln und Stärken zurück: zum Live-Erlebnis."

Also: indem sie sich abschafft, zum Beispiel. What? Zuletzt zu dem, was neben der Kultur seiner Ansicht nach am meisten leidet: die Expertenkultur.

"Es gibt viele Leute, die eine Wissensgesellschaft prophezeien. Der Großteil des sogenannten 'Wissens' im Internet aber ist banal und wenig verlässlich. Ich hoffe sehr, dass die 'knowledge economy'die Experten sucht – das wäre dann das Web der Generation 3.0. Garantien dafür aber gibt es nicht. In einem Internet, in dem es an jenen mangelt, die Fakten überprüfen und Qualität kontrollieren, gibt es keine Garantie für die Zukunft hochwertiger Bücher und Zeitungen."

Prophezeien? Normalerweise wird die diagnostiziert. Und bislang wird das Internet durch die extrem gestiegene Möglichkeit, sich Informationen zu beschaffen und diese eventuell zu Wissen weiterzuverarbeiten, eher als Förderer einer Wissensgesellschaft verstanden. Es ist so, als habe es früher nie Unsinn gegeben, der in Printpublikationen abgesondert wurde. Oh Gott, wieso gibt es keine qualifizierten Kritiker dieser Probleme? Dann müsste man sich ernsthaft über bestimmte Dinge Gedanken machen. Aber so...

Friday, March 6, 2009

Diskussion in der NZZ

Zwei Beiträge zu Journalismus und Internet in der NZZ. Zuerst Otfried Jarren, Medienwissenschaftler an der Uni Zürich. Er leugnet einen Zusammenhang zwischen den wirtschaftlichen Problemen eigentlich aller großen Verlage und dem Aufkommen des neuen Trägermediums Internet:

"Das vermeintliche Sterben dieser traditionellen publizistischen Riesen wird allerdings nicht im Kontext mit dem erheblichen Ausdifferenzierungsprozess im Bereich der gesamten medial vermittelten Kommunikation und den sich daraus ergebenden ökonomischen Folgen gesehen, sondern generell als Niedergang der Massenmedien gedeutet."

Dabei übersieht er (kann man das übersehen??), dass der "Ausdifferenzierungsprozess" der Angebote genau das meint: dass Universalmedien mit einem Publikum, das man tatsächlich als Masse bezeichnen kann, zu vom Aussterben bedrohten Dinosauriern werden. Das darf aber nicht passieren, schreibt Jarren:

"[M]oderne Gesellschaften sind auf die Institutionen der Massenmedien zur Realisierung ihrer öffentlichen Kommunikation angewiesen. Medial vermittelte Kommunikation ist immer eine organisierte Form der Kommunikation – und das setzt Organisationen, Rollenträger und aufseiten des Publikums die Kenntnis ebendieser sozialen Strukturen voraus."

Ich denke eher, dass moderne Gesellschaften sich dadurch weiterentwickeln, dass sie intensive Kommunikation pflegen - über welchen Weg auch immer. Außerdem ist das natürlich ein normatives Argument. Und der komplette zweite Satz bedeutet vor allem, dass Prof. Jarren nicht ausreichend mediensozialisiert ist, sonst würde er dem Publikum nicht die Kenntnis der Strukturen dieses neuen Mediums absprechen oder einsehen, dass all das für das Internet existiert und dieses eben deswegen eine Art Massenmedium ist.

Seine Argumentation wird dann immer absurder:

"Nur Angebote der Push-Medien sind potenziell in zeitlicher und sozialer Hinsicht für alle Rezipienten gleich verfügbar."

Dabei dürfte das FAZ-Abo mittlerweile deutlich teurer sein als eine Flatrate und der kostenfreie Bezug der New York Times sowie sämtlicher anderer Medien, die man gern konsumieren möchte, und zwar in dem Format, in dem man gern möchte, gern also auch als Push-Medium (z.B. als Newsletter).

Er schreibt dann:

"In der Debatte um die 'neuen Medien' dominiert – wieder einmal – ein naives Medienverständnis, weil die soziale Seite der Medien nicht gesehen wird. Medien sind nicht nur technische Vermittlungskanäle, sondern Organisationen mit eigenen Zielen und Interessen, institutionalisiert im Sinne kollektiver Regelsysteme, und sie sind eben auch komplexe Sozialsysteme. Die Massenmedien sind damit soziale Institutionen unserer Gesellschaft."

Der Fehler liegt wohl eher in der Definition dessen, was Jarren als sozial betrachtet: Dies ist eine einseitig senderorientierte Perspektive, angereichert mit etwas Systemtheorie und einem riesigen Schuss Normativität. Sozial bedeutet in diesem Falle vor allem, was der Leser will. Wenn den Leser die Ziele der Medien nicht mehr ausreichend motivieren können, sein Geld für sie auszugeben, dann kann das komplexe Sozialsystem einpacken. Und wenn Massenmedien eine Vernetzungsfunktion weit auseinanderliegender Sektoren der Gesellschaft erfüllen, bedeutet das noch nicht, dass nur sie das können. Und dann:

"Die Gesellschaftsmitglieder bedürfen der intermediären Instanzen, und deshalb gründen sie laufend neue und setzen für diese Ressourcen ein."

Eben! Das bestreitet doch Jarren aber mit Aussage, dass außerhalb der Massenmedien keine anderen Intermediäre möglich seien. Der Artikel wirkt also seltsam unfertig und nicht wirklich durchdacht.

Der zweite Beitrag von Ronnie Grob fordert nicht zu einer solchen Kritik heraus und ist eigentlich ganz angenehm zu lesen, wenn ich auch seine Ansicht der Dichotomie von Masse und Elite und die daraus sich ableitenden Konsequenzen nicht teile.

Saturday, February 28, 2009

Thierry Chervel und Miriam Meckel

Perlentaucher Thierry Chervel hat im Vorwärts einen Kommentar über u.a. einen Artikel der Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel geschrieben:

"Zu den Flachheiten des Geredes über die Zukunft der Medien und das Internet gehört die Behauptung, das Internet sei schnell, die Zeitung langsam. Die Zeitung könne nicht das Tempo toppen, mit der das Internet auf ein Ereignis reagiert. Dafür aber füge sie Tiefendimension hinzu, schaffe Reflexion."

Meckel hatte in der FAZ erklärt:

"Die Zukunft der Zeitung könnte aber auch anders aussehen, wenn es gelingt, von dem antagonistischen Verständnis online versus offline wegzukommen und beides als zwei Seiten einer Medaille zu verstehen."

Sie fügt aber im selben Atemzug hinzu:

"Die Zeitung der Zukunft wird zwei Gesichter haben: ein gedrucktes und ein vernetztes. Die Aktualität, also 'all the news that’s fit to print', wie die 'Times' für sich in Anspruch nimmt, wird ins Internet abwandern. Das Netz ist schneller als jedes andere Medium. Ihm auf diesem Feld mit einem gedruckten Produkt Konkurrenz zu machen, hat einfach keinen Sinn. Aber als Medienhaus die Aktualität im Netz zu bespielen, hat sehr viel Sinn."

Dass es eben, wie Chervel andeutet, auch sehr schnell dazu kommen kann, dass man einfach so ziemlich alles auf e-Book-Formaten liest, kommt für Meckel scheinbar nicht infrage. Es macht einfach wenig Sinn, wenn sie impliziert, dass gute journalistische Stücke nur auf Print erscheinen könnten. Ach, was heißt impliziert:

"Eine Seite, die nicht mehrfach stündlich aktualisiert wird, gerät schnell in die Randzonen der Netzaufmerksamkeit. Und der Leser, der Lesezeit für mehr als ein paar Zeilen investieren müsste, klickt weiter. Bei der Zeitungslektüre verweilt der Leser dort, wo sein Interesse besteht oder geweckt wird durch eine spannende und gut geschriebene Geschichte."

Zumal Frau Meckel selbst mit der neuen Medienwirklichkeit nicht wirklich umzugehen weiß: Auf ihrer Webseite, die auch einen Blog enthält, gibt es keine Kommentarfunktion. Ich schrieb ihr über das Kontaktformular einen längeren Kommentar zu besagtem FAZ-Artikel, bekam aber nicht einmal ein 'Aha.' zurück.

Bei erneuter Lektüre offenbaren sich aber einfach sehr viele Ungereimtheiten in ihrem Artikel: "Im Feld der generischen Nachricht ist für die Zeitung langfristig kein Wettbewerbsvorteil mehr zu erzielen." In diesem Feld war für keine Zeitung jemals ein Wettbewerbsvorteil drin. Oder hat Frau Meckel je eine Zeitung abonniert für die Abbildung der ddp-Nachrichten in der Meldungsspalte.

Ach ja, à propos antagonistisches Verständnis von online und offline:

"Online und offline müssen sich unterscheiden. [...] Wer versucht, das eine in das andere zu übersetzen, hat schon verloren. Wer das nicht versucht, kann nur gewinnen."

Wer so etwas ironiefrei in einem Artikel sagen kann, der online bei faz.net steht, hat schon verloren.

Wednesday, February 25, 2009

Imperialistische Kundenbindung

So könnte man nennen, was Vattenfall gerade gemacht hat: Kunden, die zum großen Teil wegen desaströser Managementfehler (während einer Preiserhöhung im Frühjahr 2007 und während der Unfälle in den KKW Krümmel und Brunsbüttel im Sommer 2007 [die nach anderthalb Jahren noch immer nicht wieder in Betrieb sind] sowie der Beförderung des für die fehlerhaft kommunizierte Preiserhöhung verantwortlichen Vertriebschefs zum Vorstandsvorsitzenden) zum Konkurrenten Nuon gegangen sind. Insofern wird ein Gutteil der Flüchtigen also nicht durch gute Preispolitik und einen Wiederaufbau von Vertrauen in den Konzern zurückgewonnen, sondern einfach zurückgekauft. Das ist doch mal energisch!

Monday, February 23, 2009

Sixtus vs. Lobo

Macht Spaß!

 
 
 
 
 
 
 

 

Sixtus vs. Lobo – Cybermobbing

 
 
 
 
 
 
 

 

Sixtus vs. Lobo – Zukunft des Mobilfunks

Carlos Slim und die New York Times

Ende Januar schrieb Andres Martinez im Slate-Magazine seine Bedenken über das Investment des mexikanischen Geschäftsmannes Carlos Slim in das Unternehmen, das auch die New York Times herausgibt, nieder:

"Let's face it. The New York Times would never strike a deal with a U.S. tycoon of a similar profile, for fear of triggering real or apparent conflicts between the newspaper's coverage and the investor's interests. Not that you could ever find such a U.S. tycoon: The conglomerate of Slim-controlled telecom, banking, tobacco, retailing, insurance, construction, and other interests has been estimated to add up to 7 percent of Mexico's GDP."

Dabei macht Martinez klar, dass er in keiner Hinsicht eine antikapitalistische Sichtweise einnehmen will. Doch verweist er auf einen Artikel im Wall Street Journal, in dem sein Aufstieg zum Reichtum nachgezeichnet wird. Zum Konzern gehören über 200 Firmen in den unterschiedlichsten Branchen, sodass"[i]t's hard to spend a day in Mexico and not put money in his pocket." Die in Mexiko aufgebauten Monopole bedrohen dabei auch die Demokratie im Land:

"Congress routinely kills legislation that threatens his interests, and his firms account for a chunk of the nation's advertising revenue, making the media reluctant to criticize him."

Dabei scheint seine Geschäftsstrategie typisch Hedge-Fund zu sein: Firmen aufkaufen und aufpäppeln - nur dass er sie dann augenscheinlich nicht verkauft, sondern danach seine Mitbewerber aus dem Feld drängt. Dies liegt allerdings im Wesen der (freien) Marktwirtschaft. Nur bleibt eben das Problem des Monopols: Der fehlende Wettbewerb lässt die Preise für Telekommunikation so hoch bleiben, dass Mexiko schlechter als vergleichbare Staaten vernetzt ist.

Der Grund für den rasanten Aufstieg Slims liegt dann offenbar eher in der Freundschaft zu einem mexikanischen Politiker:

"Despite his abilities, many here believe his biggest break was the rise to power in 1988 of Carlos Salinas [Präsident von 1988 bis 1994], a Harvard-educated technocrat bent on modernizing the country. The two men had struck up a friendship in the mid-1980s, and Mr. Salinas spoke of Mr. Slim as the country's brightest young businessman."

und in der vollständigen Abwesenheit von Regulierung:

"Attempts to regulate Mr. Slim's companies have largely failed over the years. Mexico's telephone regulator, Cofetel, was so weak in the 1990s that Telmex's rivals dubbed it 'Cofetelmex.' When the regulator did try to act, Mr. Slim's lawyers blocked it in the country's Byzantine courts."

Aber Martinez will nicht darauf hinaus, wie Slim sein Geld verdient hat, rechtens oder mit zweifelhaften Methoden:

"It's whether the New York Times really wants to tie its reputation so closely to his. Was there really no one else who had a quarter of a billion dollars to spare?"

Denn das eigentliche Problem, so Martinez, ist, dass man nicht beweisen kann, dass Slim keinen Einfluss auf die Inhalte der Zeitungen nimmt:

"I know from experience that publishers do intervene in the editorial process, as is their prerogative. And I can assure you that Slim's investment will be a factor, even if unspoken, in editorial decision-making henceforth at the Times. Perhaps Mexico's crony capitalism will remain a mostly neglected topic—but now conspiracies will be read into the neglect. [...] It becomes easier for him to write off his critics in Mexico as perennially frustrated leftist whiners. If any of what they alleged were true, after all, would the enlightened and liberal New York Times allow him to become one of its largest shareholders?"

(Wohlgemerkt, ihm steht kein formaler Einfluss durch seine Aktien zu. Die alleinige Verantwortung trägt nach wie vor die Familie Sulzberger.) Komischerweise ist von alldem wenig zu lesen in dem Artikel der taz zum "Niedergang der New York Times". Dort werden immer noch die Zahlen aus dem Atlantic Monthly-Artikel benutzt. Von der Lösung dieses Problems erfährt der Leser hingegen nichts.

Am 15. Februar nun versucht die New York Times genau das, worüber sich Jack Shafer bei Slate ausließ: "the Times being damned if it covers him and damned if it doesn't." Nach der obligatorischen Erwähnung des Investments Slims in der NYTimes charakterisiert der Autor auch den Stil seines Umgangs mit den Medien:

"With telecommunications, retailing and construction companies under his command, Mr. Slim looms large over the media landscape in his country. Notoriously thin-skinned, he does not have to pick up the phone and bellow at those who publish and broadcast something he does not like. His vast resources often translate into less-than-critical coverage."

Geschildert wird dann auch, wie der Deal zwischen dem Zeitungshaus und Slim eingefädelt wurde - allem Anschein nach kam die Initiative von der Zeitung. Neben dem Geschäftsinteresse, das Slim verfolgt, hat das Investment aber auch einen Imagegrund:

"Besides the financial benefits, those who know Mr. Slim also see in the deal an effort to bolster his reputation by linking himself with a well-known brand."

Die Verbindung lässt also das Problem ganz offenbar werden: Wenn über verschiedene neue Erlösmodelle für Printprodukte nachgedacht wird, kann auch die Unterstützung durch sehr reiche Privatpersonen dazu gehören, die sich dadurch einen Gewinn für ihr Image versprechen mögen und einfach, wie bei normalen CSR-Aktivitäten, einer Art öffentlichen Verantwortung als Staatsbürger nachkommen. Dass die journalistische Unabhängigkeit dadurch gefährdet werden kann, kann das der Grund sein, dieses Engagement abzulehnen? Und zu welchem Preis? Wieviele andere ultrareiche Personen auf der Welt gibt es, die für 250 Mio. Dollar Anteile der renommiertesten Zeitung der Welt kaufen (könnten), ohne dass dies in irgendeiner Weise mit der Herkunft dieses Vermögens interferierte? Allein durch ihren Reichtum und den dadurch möglichen Einfluss, den solche Menschen ausüben können, haben Informationen sie betreffend Nachrichtenwert.

Journalistische Suchmaschinenoptimierung

Peter Glaser schreibt:

"Wo noch Redakteure an der Arbeit sind, versuchen sie nun, nicht mehr primär für menschliche Leser zu schreiben, sondern für die Maschine. Texte werden so geschrieben, dass Google sie findet, mit einfachen Schlüsselworten im Titel und einfachen zugehörigen Begriffen im Text. Die kulturlose Suchmaschine versteht beispielsweise keine Wortspiele oder andere elegante Formen des Formulierens."

Und dann liest man einen Text wie den des Schriftstellers Franzobel in der FR:

"Die Orgie ist zumindest ihrer Idee nach ein Aufbegehren gegen die Kommunikationslosigkeit, gegen das monadische Dasein des Einzelnen. Es kommt zu einer wechselseitigen Durchdringung mit anderen als auch mit dem Cosmos - oder, um es mit Freud zu sagen, das Es trifft das Über-Ich und geht stiften."

Das wollen wir nicht, dass sowas untergeht!

Tuesday, February 17, 2009

Und wir danken Wolfgang Ullrich

Endlich mal kurz, klar und knapp:

"Heutiges Produktdesign hat auch in vielen anderen Bereichen die Neigung, Tätigkeiten einseitig überzuinterpretieren. Die Absicht, den Konsumenten zum Experten, Profi oder Freak zu adeln, ja das Verlangen, selbst banale Aktivitäten zu emotionalisieren und in reißerische Events zu verwandeln, führt zu Produkten, die eine beiläufige Nutzung gar nicht zulassen. Ob es sich um einen Toaster oder einen Herd, Turnschuhe oder technische Geräte handelt: Wer etwas sucht, das 'einfach so' handzuhaben ist, tut sich schwer."

Oder: Gute Nacht, Emotionalisierung bei Kroeber-Riel. Aber das werde ich wohl nicht mehr erleben.

Tuesday, February 3, 2009

Umbruch in der Zeitungsbranche

Die großen Zeitungen müssen sparen. Der Online-Klatschtempel Gawker hat dazu aufgerufen, unsinnige Sparzwänge, die in Unternehmen (das ist keineswegs auf Verlage beschränkt) verhängt werden, zu melden. Diese werden dann, unter dem Label "Recessionomics", veröffentlicht. Unter dem Titel "Possibly The Most Enraging Newspaper Memo Yet" veröffentlichen sie die Richtlinien der South Bend Tribune. Der Herausgeber ("editor") weist darin an, nicht nur an ihn, sondern an mindestens vier weitere Herausgeber ein bis ins kleinste aufgeschlüsselte Liste der am Tage erledigten Aufgaben - selbst der kleinsten - sowie eine Liste der am nächsten Tag anstehenden Tätigkeiten. Es folgt dann eine Beschreibung in 375 Worten. Ziel ist die Steigerung der Produktivität.

Der Silicon Alley Insider hat berechnet, dass anstatt der jährlichen Kosten für Druck und Vertrieb der New York Times, die Zeitung jedem Abonnenten einen Kindle-Reader schenken könnte und noch enorm viel Geld übrig bleiben würde:

"Are we trying to say the the New York Times should force all its print subscribers onto the Kindle or else? No. That would kill ad revenues and also, not everyone loves the Kindle.

What we're trying to say is that as a technology for delivering the news, newsprint isn't just expensive and inefficient; it's laughably so."
(via Dirk von Gehlen)

In einem schönen Stück in der Zeit hat Gero von Randow über den geplanten Rettungsplan des französischen Präsidenten Sarkozy für die Branche geschrieben:

"Frankreich zahlt bereits die höchsten Pressesubventionen Europas, sie belaufen sich auf acht Prozent vom Umsatz. Dennoch geht es der Presse des Landes besonders schlecht. Was sich mitnichten nur auf die schlimmen Zeiten schieben lässt. [...] Herstellung, Verbreitung, Verkaufspreise, alles liegt weit über dem europäischen Durchschnitt. Die Folge: Fast nirgendwo verdient ein Zeitungsverkäufer so wenig wie in Frankreich. Ein Gesetz aus dem Jahr 1947 zwingt ihn überdies, jedes noch so kleine Blatt anzubieten."

Das alles war mir neu. Neben der Unterstützung für den Vertrieb der Zeitungen soll es auch Gratis-Abos für Minderjährige Leser geben. Anlässlich dieser Meldung hat der Tagesspiegel die Subventionslage in verschiedenen europäischen Staaten untersucht. Der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Zeitungsverlage sagt dazu:

"Gleichwohl erwarten wir Zeitungen keine Subventionen vom Staat - wir erwarten aber gute Rahmenbedingungen!"

Bleibt die Frage, ob Zeitungen nicht, wie viele andere Unternehmungen, auch Objekt einer Art Image-Investement sein können: Corporate Social Responsability. Der Milliardär Carlos Sims hat 250 Millionen Dollar in die New York Times investiert (wie er sagt), um die 400-Millionen-Dollar-Umschuldung im Mai zu gewährleisten. Wäre doch aber eigentlich ganz nett, wenn sich ein großer Unternehmer eines profilierten Medienunternehmens annehmen würde. Dies stellt zwar die Unabhängigkeitsfrage. Gleichzeitig scheint es nicht undenkbar, dass das funktionieren könnte.

Wednesday, January 21, 2009

Barney Frank

In zwei großen amerikanischen Zeitschriften gab es kürzlich Portraits über Barney Frank, den derzeitigen Vorsitzenden des Finanzausschusses im amerikanischen Kongress. In dieser Funktion war er der Beauftragte der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, für die Verhandlungen über die Lösung der Bankenkrise und allem, was damit zusammenhing, mit der Administration des (Ex-)Präsidenten Bush. Dies war wohl auch der Anlass für die Reportagen.

Im New Yorker schreibt Jeffrey Toobin:

"For the first time in more than forty years of public life, Frank has real power [...]."

Dieser Bericht macht wirklich Spaß zu lesen und belebt einen grundlegenden Glauben in die Demokratie - der Mann scheint kompetent, sozial verantwortlich, aber überzeugter Kapitalist zu sein. Pelosi selbst wird zitiert mit den Worten:

"'He’s solution-oriented, respectful of different perspectives, and brilliant. And it’s brilliance that saves time, because he simplifies the complex for us. He is an enormously valuable intellectual resource for the Congress.'"

Er war der erste Kongressabgeordnete, der sich (1987) aus freien Stücken als homosexuell bekannte. Der Bericht im New Yorker erzählt dann eigentlich die Immobilienkrise der vergangenen anderthalb Jahre aus der Sicht bzw. durch die Brille von Barney Frank und abwechselnd dazu seinen Aufstieg im amerikanischen Politikbetrieb. In Anbetracht der Tatsache, dass Frank den Vorsitz des Finanzausschusses im Februar 2007, also vor dem eigentlichen Zusammenbruch des Immobilienmarktes übernahm, war auch Thema eines Interviews mit dem rechtskonservativen Bill O'Reilly:

Im New Yorker heißt es dazu:

"'I will acknowledge that during the twelve years of Republican rule I was unable to stop them from impeaching Bill Clinton,' Frank went on. 'I was unable to stop them from interfering in Terri Schiavo’s husband’s affairs. I was unable to stop their irresponsible tax cuts, the war in Iraq, and a Patriot Act that did not include civil liberties.' In other words, Frank insisted, if the Republicans had wanted to try to prevent the mortgage crisis, they would have had plenty of opportunities to do so."

Dass es für den Mann dennoch nicht ganz einfach gewesen sein dürfte in all den Jahren, belegt ebenfalls ein direktes Zitat aus dem Text:

"'Barney is a real capitalist,' Joe Corcoran, the developer who took over Columbia Point [a public-housing project], told me. 'He understands that we have to make a profit. Barney is the smartest politician I’ve ever seen. I have no problem with him being gay, or being Jewish. I like Jews. I like doing business with Jews. They know how to make a deal.'"

Some of my best friends are, oder Philosemitismus, oder was ist das? Der Artikel lässt das unkommentiert stehen. Angesprochen wird auch, dass Newt Gingrich, ehemaliger Sprecher des Repräsentantenhauses, der Überzeugung war, Barney Frank hasse ihn. Was man verstehen kann, wenn man sowas hört:

"Still, Frank is uncharacteristically hopeful about the future, including gay rights. 'We’re going to do three things in Congress,' he told me. 'First, a hate-crimes bill—that shouldn’t be too hard. Next, employment discrimination. We almost got that through before, but now we can win even if we add transgender protections, which we are going to do. And finally, after the troops get home from Iraq, gays in the military. The time has come.'"

Ein sehr interessantes Stück kann man dann lesen, wenn es um die Abstimmung des 700-Milliarden-Dollar-Paketes im amerikanischen Kongress sowie die vor- und nachherigen Verhandlungen zwischen Demokraten und Republikanern geht:

"Frank laid out the provisions that the Democrats wanted in a bailout bill: equity for the taxpayers, like any other investors; a program to limit foreclosures for beleaguered homeowners; compensation reform for executives at companies receiving bailout funds; and strict congressional oversight of the whole process. Two days later, on Saturday, September 20th, the Treasury Department sent Congress a formal proposal of sorts. In a text just three pages long, the Treasury asked for seven hundred billion dollars from Congress but provided few details about how the Administration would spend the money. 'It was just ridiculous,' Pelosi told me. 'They wanted us to surrender all authority and give them seven hundred billion dollars.'"

Der Artikel im Portfolio-Magazine von Andrew Rice legt im Gegensatz (er ist vor allem ein ganzes Stück kürzer) zum New Yorker zu Beginn eher Gewicht auf die Einordnung der Bedeutung des Financial Committees:

"Congress, led by Frank’s committee, is now in the process of deciding the future regulatory structure of Wall Street, the pay of investment-banking executives, the fate of Detroit’s Big Three automakers, and how many homeowners will face foreclosure."

Gleichzeitig kommen die im New Yorker nur angerissenen Ängste der Wall Street etwas mehr zur Geltung:

"Friedman [ehemaliger Vorsitzender von Goldman Sachs], like other Wall Street elders, has suggested postponing changes until both markets and emotions have stabilized and appointing a 'blue ribbon' panel (classic Washington-speak for punting on a tough issue) to study possible strategies. Frank says such an idea is 'nonsense.' He has no sympathy for the hedge fund managers and other financial wizards who invented what he calls 'magical money machines.'"

Man erfährt auch, wie sehr Politik letztendlich (immer wieder) abhängig davon ist, dass in manchen Situationen zwei Menschen gut zusammen arbeiten können, weil ihnen gelingen kann, was ohne gute Zusammenarbeit eventuell nicht gelungen wäre. Hier geht es um die Kooperation zwischen Barney Frank und dem amerikanischen Finanzminister Henry Paulson:

"The two men consulted on a daily basis during critical periods of the crisis, sometimes face-to-face, more often in impromptu phone calls. They communicate very differently: Paulson sometimes descends into halting jargon, while Frank can cram three sentence fragments into one breath. But a trusting relationship was formed. When Paulson said he needed $700 billion, it was Frank who expended the mighty effort to persuade resistant House Democrats. [...] 'When I talk to him about the markets, I know he immediately gets it,' Paulson told me at the height of the crisis. 'And he has been consistently right in the advice he has given me about politics.'"

Tuesday, January 20, 2009

Wissenschaftliche Kaffeesatzleserei

In einem Kommentar zu einer Publikation kürzlich im Titel-Magazin schrieb Thomas Rothschild: 

"Zeitungen und Zeitschriften müssen gefüllt werden. Deshalb geben sie ständig Antworten auf Fragen, die sie sich selbst stellen. Aber die Antworten gehen über das Niveau der Kaffeesatzdeutung nicht hinaus. Tag für Tag wird als Gewissheit ausgegeben, was lediglich Vermutung, Behauptung ist. Mit Wissenschaft hat das so viel zu tun wie das Bremsgeräusch eines LKW mit Musik."

Auch ohne den Hintergrund des Artikels, die Neoliberalisierung von Altlinken, dabei zu benötigen, spricht dies ein aktuelles Problem an: Bei der Gratwanderung zwischen Arkanwissen aus dem Elfenbeinturm und Populärwissenschaft werden wissenschaftliche Erkenntnisse teils derart vulgarisiert, dass man für deren Vermittlung dann auch keine Professoren (oder -innen) mehr braucht.

Ein schönes Beispiel lieferte dafür kürzlich Professor Norbert Bolz in einem Interview in der Berliner Zeitung (hier stellte er sich die Fragen also nicht selbst). Anlässlich der Diskussion um 25 Jahre Privatfernsehen äußert er gleich zu Beginn, als hätte es weder eine konstruktivistische Medientheorie noch eine Cultural Studies Fernsehforschung je gegeben:

"Der Vorteil für den Zuschauer ist die Prämie der Passivität. Er wird nebenher berieselt, Walter Benjamin hätte das 'zerstreute Rezeption' genannt. Man bekommt als Konsument beiläufig alles mit: Was in New York los ist, wie es zwischen Männern und Frauen läuft, wie Obamas Frau aussieht. Durchs Fernsehen lernt man die Welt kennen. Der Nachteil: Fernsehen ist ein Oberflächenmedium, ohne jegliche Tiefe."

Als Walter Benjamin noch lebte, gab es schlicht noch kein Fernsehen, und es ist unglaubwürdig, dass sich nach Benjamin niemand mehr mit einem bedeutenden Beitrag zur Rezeption des Fernsehens gemeldet hätte. Als nächstes folgen dann, natürlich, Adorno und Postman:

"Der Kulturauftrag des Fernsehens ist nichts weiter als ein Phantasma."

Das kann man denken, man kann auch anderer Meinung sein, auch wenn in diesem Fall jegliches Gegenargument sofort als weltfremd abgetan werden kann. Aber was folgt, ist dann schon recht unglaublich.

"Sie [die privaten Fernsehkanäle] haben in gesundem Realismus das Wichtigste klargestellt: Es zählt nur die Quote. Hätten die öffentlich-rechtlichen Sender den Mut eines Don Quichotte besessen, und die Quote missachtet, wäre vielleicht alles anders gekommen. Sie könnten es, denn das Geld ist ja bei ihnen. Aber sie fingen sofort auch an, nach der Quote zu schielen, da ist es zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen zur Ununterscheidbarkeit gekommen. Von heute aus gesehen war das richtig, denn das Fernsehen ist nicht mehr das Leitmedium."

Abgesehen davon, dass es Menschen und nicht die Kanäle waren, die irgendwas klargestellt haben, scheint sich die Argumentation wie folgt aufzubauen: Wären die öffentlich-rechtlichen Kanäle vollkommen weltfremd gewesen und hätten sie gegen Windmühlen gekämpft, gegen also eigentlich real nicht existente Phantasmen, dann, ja dann wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Die Ununterscheidbarkeit zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten ist eher behauptet (bei den Sparten- bzw. Regionalkanälen liegt die Unterscheidbarkeit auf der Hand, vgl. Phoenix oder 3sat, aber auch bei den Generalisten ist doch immer noch ein Unterschied zu bemerken), wenn man eine gewisse Annäherung auch nicht einfach vom Tisch wischen kann. Zumal Bolz selbst nur einige Absätze weiter unten sagt:

"Die Öffentlich-Rechtlichen stecken in viel engeren Geschmacksgrenzen fest."

Am überraschendsten erscheint mir aber die Volte, die Bolz am Ende schlägt: Die Konvergenz des Maßstabs Quote für sowohl öffentliche als auch private Anstalten war richtig, weil das Fernsehen heute nicht mehr das Leitmedium ist? Ist es richtig, weil infolgedessen das Fernsehen seinen Status als Leitmedium verloren hat? Oder ist es richtig, weil Quote auch bei allen zukünftigen medialen Kanälen der Maßstab sein wird, auch jetzt, wo das Fernsehen nicht mehr das Leitmedium ist? Und was hat das eine mit dem anderen zu tun? You lost me there.

Danach widerspricht sich Bolz scheinbar sogar, wenn er auf die Frage 

"Hat das Privatfernsehen die Öffentlich-Rechtlichen gezwungen, ihr Profil zu schärfen?"

behauptet:

"Auf jeden Fall. Der 'Tatort' ist politisch korrekter geworden, 'Anne Will' ist schärfer als 'Christiansen' es war."

Damit hätte die Konkurrenz ja, zumindest in einigen Fällen, sogar zu einer größeren Unterscheidbarkeit geführt, denn an political correctness ein privates Programm zu messen, scheint mir in den meisten Fällen vertane Zeit.

Im Anschluss bezeichnet Bolz die Privaten auch als Trendaufspürer und Trendsetter:

"Hauptsächlich RTL hat richtige Spürnasen, die jeden Trend im Ansatz erfassen, prüfen und dann mit unternehmerischem Mut, manchmal auch Wagemut, koppeln und ins Programm nehmen."

Die Zeit schrieb über Bolz mal "Trendforscher kennen Herrn Bolz als Philosophen; Philosophen kennen ihn als Trendforscher", deswegen sollte man davon ausgehen, dass daran irgend etwas bedenkenswert ist. Stefan Niggemeier schrieb zur Verleihung des Preises "Medienfrau des Jahres 2008" an Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin von RTL:

"Man kann den von ihr geleiteten Sender RTL zum Beispiel dafür bewundern, wie er es geschafft hat, angesichts einer sich ganz von allein zerbröselnden Konkurrenz, einfach stillzuhalten und auf eigene Ideen, Impulse und Risiken zu verzichten. [...] Und bestimmt findet man in einem Jahr, in dem die Quoten für RTL fast durchweg schlechter waren als im Vorjahr, auch eine Ausnahme, die man hervorheben kann."

Ich habe seit Jahren kein RTL geschaut, aber das klingt nicht nach Wagemut. Aber der brave Roland Mischke fragt nach:

"Meinen Sie Sendeformate wie 'Big Brother' und die 'Dschungelshow'?"

Darauf Bolz:

"Zum Beispiel. Unglaublich, dass das funktioniert hat. Echtes Leben, echte Gefühle, wahre Intimität."

Unglaublich oder nicht. Aber "echt"? Damit möchte ich nicht auf das Authentizitätsproblem hinaus, sondern lediglich die begriffliche Unschärfe von Bolz kritisieren. Das ist zwar sehr leicht lesbar, setzt sich aber der Gefahr der vollkommenen Unseriösität aus.

Ich bezweifle, dass durch eine solche Vermittlung irgendeiner der Leser eine zusätzliche Information erhalten hat. Und wenn das nach Jahrzehnten der Rezeptionsforschung in der Öffentlichkeit kommuniziert wird, dann verliert das Fach einfach seine Existenzberechtigung.