Sunday, March 8, 2009

Die Stunde des Stümpers

Internetkritiker Andrew Keen hat vor einiger Zeit der FAZ ein Interview gegeben. Da ich mich schon damals, als ich das Buch gelesen habe, furchtbar darüber aufregte, ist es vielleicht nützlich, seiner Kritik hier zu begegnen.

"Etablierte Zeitungen werden verschwinden. Andere wird es nur noch als Online-Ausgabe geben oder auf Lesegeräten, wie sie die britische Firma Plastic Logic demnächst in Dresden produzieren will. Auch die Literaturindustrie steht vor einer riesigen Herausforderung durch die Internetkultur. Für die Ära der Massenunterhaltung, für Hollywood, könnte sie gar das Ende bedeuten."

Ok, das mit den Zeitungen wird hier ja immer mal wieder behandelt, da ist er ja bei weitem nicht der einzige, der den Weltuntergang heranrücken sieht. Was genau an der Veränderung der Art und Weise, Zeitung zu lesen, schlimm sein soll, sagt er zwar nicht. Aber mich erheitert der letzte Satz: Keen ist meines Wissens der erste, der Hollywood zu Kultur erklärt. Bislang wurde von Kulturkritikern ja eher die Verdummung der Menschen durch die Seichtunterhaltung der Filmindustrie vorausgesagt. Auf einmal ist es also so, dass man diese vor den Internauten retten muss.

"Das Problem ist, dass sich viele Nutzer, besonders Jugendliche, blindlings darauf [was sie z.B. bei wikipedia lesen] verlassen. Wir müssen ihren kritischen Blick schärfen, ihre Medienkompetenz."

Unzweifelhaft. Aber Schrott stand noch in jedem Medium.

"[FAZ:] In Debatten haben Sie die politische Kultur im Internet mit jener des Kommunismus verglichen und Propaganda-Instrumente ausgemacht, die einem Goebbels gefallen hätten.

[Keen:] Das Internet ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Wir müssen wieder zu einer Kultur der Verantwortung finden."

What? Ich glaube, solche Äußerungen, Frage wie Antwort, verdienen keine ernsthafte Auseinandersetzung. Er fordert dann Betreiber von Blogs etc. auf, darauf hinzuwirken, dass Nutzer nicht mehr anonym bleiben können.

"Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut. Aber für Meinungen muss man auch Verantwortung übernehmen und zur Verantwortung gezogen werden können."

Gott sei Dank gibt es ja auch das Recht auf Ignoranz: Ich nehme Meinungen nur dann ernst, wenn ich einigermaßen weiß, von wem sie kommen.Und ich gehe relativ stark davon aus, dass das viele andere sehr ähnlich halten.

Danach fordert Keen die "Kultur" auf, auf das Internet zuzugehen und ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das mit der neuen Umgebung umzugehen weiß.

"Die Musikindustrie beginnt vielleicht schon zu verstehen, gegen die neue Kultur nur ankommen zu können, indem sie sich ihr zuwendet. Und findet zu ihren Wurzeln und Stärken zurück: zum Live-Erlebnis."

Also: indem sie sich abschafft, zum Beispiel. What? Zuletzt zu dem, was neben der Kultur seiner Ansicht nach am meisten leidet: die Expertenkultur.

"Es gibt viele Leute, die eine Wissensgesellschaft prophezeien. Der Großteil des sogenannten 'Wissens' im Internet aber ist banal und wenig verlässlich. Ich hoffe sehr, dass die 'knowledge economy'die Experten sucht – das wäre dann das Web der Generation 3.0. Garantien dafür aber gibt es nicht. In einem Internet, in dem es an jenen mangelt, die Fakten überprüfen und Qualität kontrollieren, gibt es keine Garantie für die Zukunft hochwertiger Bücher und Zeitungen."

Prophezeien? Normalerweise wird die diagnostiziert. Und bislang wird das Internet durch die extrem gestiegene Möglichkeit, sich Informationen zu beschaffen und diese eventuell zu Wissen weiterzuverarbeiten, eher als Förderer einer Wissensgesellschaft verstanden. Es ist so, als habe es früher nie Unsinn gegeben, der in Printpublikationen abgesondert wurde. Oh Gott, wieso gibt es keine qualifizierten Kritiker dieser Probleme? Dann müsste man sich ernsthaft über bestimmte Dinge Gedanken machen. Aber so...

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